Interkulturelles Management und Unternehmenskultur in Thailand
Um eine funktionierende und weitgehend störungsfreie Kommunikation und Zusammenarbeit mit Thailändern zu erreichen, ist es unumgänglich das Verhalten von Thais nicht alleine mit unseren Massstäben zu beurteilen, sondern vielmehr aus der Innenansicht der thailändischen Kultur. Was haben die Thais also für ein Weltbild, welche Ideologien und Regeln strukturieren das Leben und das Verhalten der Menschen in Thailand?
Klassische Thailand-Studien greifen sehr gerne auf die buddhistische Religion als Erklärungsmuster für kulturelle Eigenheiten zurück. Das ist schon einmal ein guter Ansatz, aber für sich alleine greift dieser Ansatz zu kurz. Das ist so, als ob man europäische Kultur und Verhalten alleine aus dem Christentum erklären wollte. Und was das religiöse Weltbild in Thailand betrifft, so ist es mindestens genau so wichtig. die zweite Seite thailändischen Glaubens, den in Thailand fast allgegenwärtigen Animismus mit seinen zahlreichen Geisterkulten zu berücksichtigen. Gemeinsam ist diesen beiden Hälften der thailändischen Religion (Buddhismus und Animismus) das Konzept von Vergänglichkeit und Instabilität der umgebenden Welt.
In Bezug auf die Arbeitswelt und Unternehmensstrukturen bedeutet das zunächst, dass eine Firma auch nur ein Teil dieses so strukturiert gedachten Universums ist. Je nach vorhandener Beziehungsstruktur, die eine Geschäftsführung zu ihren Mitarbeitern aufbaut, wird der Unternehmensraum einmal als die Sphäre eines guten Geistes oder einmal als die eins bösen Geistes interpretiert. Thailänder unterscheiden klar zwischen Personen zu denen sie reziproke Beziehungen entwickelt haben (Beziehungen mit einer gewissen persönlichen Nähe, Beziehungen die durch Vertrauen, gegenseitiges Geben und Nehmen und ein wechselseitiges Verantwortungsgefühl gekennzeichnet sind) und all den anderen Personen zu denen sie keine solchen Beziehungen haben. Diese Gruppe der Menschen ausserhalb des persönlichen Beziehungsnetzwerks ist einem freien Markt vergleichbar: Wenn es dem eigenen Vorteil dient, dann geht man temporäre Beziehungen zu diesen Personen ein. Dabei ist man versucht immer das Gesicht zu wahren, man ist höflich und lächelt, aber man man kann diese Personen benutzen, man kann sie notfalls auch belügen und betrügen, denn man hat ihnen gegenüber keine Verpflichtungen. Weil das umgekehrt aber auch der Fall ist, sind diese Aussenbeziehungen immer auch eine Sphäre der Gefahr, man muss auf der Hut sein, so wie wenn man in die Wildnis geht und sich vor deren Gefahren (zB. bösen Geistern) schützen muss. Man darf sich keine Blösse geben, man muss das Gesicht wahren und seine wahren Gedanken und Absichten verbergen. Trotzdem sind die Grenzen zwischen diesen beiden Sphären von Beziehungen fliessend und offen, Personen können (je nach Verhalten) in die Gruppe des reziproken Beziehungsgeflechts aufgenommen werden, aber auch aus diesem ausgestossen werden. Je nach vorhandener Beziehungsstruktur, die eine Geschäftsführung zu ihren Mitarbeitern aufbaut, wird der Unternehmensraum einmal als reziprokes Naheverhältnis oder einmal als freier Markt, Wildnis bzw. Sphäre mit bösen Geistern interpretiert und das eigene Verhalten in entsprechender Weise einerseits an die herrschende Atmosphäre der Sicherheit und des Wohlwollens oder andererseits an ein Klima unberechenbarer Mächte angepasst. So kann mangelnde Authentizität deutschen Einsatzwillens und deutscher Fürsorge bei den thailändischen Mitarbeitern zur Diagnose der Unmöglichkeit führen, angenehme und reziproke Beziehungen aufzubauen. Das Beziehungsgefüge verbleibt in diesem Fall in der bedrohlichen Aussen-Dimension. Der Aufbau eines Loyalitätsgefühls unterbleibt, so dass der deutsche Chef als unberechenbarer "böser Geist" dementsprechend zum eigenen Vorteil und Schutz hintergangen werden kann. Als eine weitere Folge lässt sich häufig eine hohe Fluktuation beobachten: Innerhalb der unkontrollierbaren Aussen-Sphäre zählt nur, was einem selbst nützt. Falls sich ausserhalb des Unternehmens bessere Möglichkeiten auftun, wird ohne Zögern der Job gewechselt. Auf der anderen Seite fördert der Aufbau einer Atmosphäre von Wohlwollen und Nachsicht die Herausbildung stabiler persönlicher Bindungen zwischen den deutschen Managern und ihren thailändischen Mitarbeitern. Als direkte Folge sinkt die Fluktuation drastisch und Rechtsvergehen gegenüber dem Unternehmen kommen kaum noch vor. Innerhalb dieser Sicherheitszone tritt dann allerdings auch das beschriebene Phänomen des thailändischen Individualismus auf mit seiner Tendenz zu spielerischer Spontaneität und kreativer, flexibler Regelauslegung. Ein spielerisches Umgehen mit aufgestellten Regeln in diesem Zusammenhang als Anzeichen für mangelnde Motivation oder Undiszipliniertheit zu deuten, ist somit eine deutsche Fehlinterpretation. Vielmehr weist abweichendes, individualistisches Verhalten von thailändischer Seite ganz im Gegenteil auf das Vorhandensein eines stabilen Sozialgefüges hin. All diese thailändischen Denk- und Verhaltensweisen zeigen, dass Phänomene wie "Individualismus" oder "Kollektivismus", die in unserer westlichen Vorstellung als gegensätzliche Kategorien begriffenen werden, innerhalb der thailändischen Vorstellung jedoch als theoretische Konzepte in dieser Form gar nicht existieren. Deshalb bleibt die Interpretation thailändischen Verhaltens aus deutscher Sicht anhand der Kollektivismus-Individualismus-Skala widersprüchlich, eine Ableitung von sinnvollen Verhaltensweisen auf Basis von "Dimensionen" ist schlechthin nicht möglich. Versuche, das Verhalten der thailändischen Mitarbeiter über feste Regeln und Gruppendruck auf vermeintlich kollektivistische Art zu kontrollieren, schlagen nicht nur fehl, sondern erweisen sich als kontraproduktiv, wenn thailändische Mitarbeiter in Scharen die Firma verlassen, um dem Druck auszuweichen. Die in dem Dimensionsmodell verwendeten Bewertungsparameter (etwa Individualismus vs. Kollektivismus) sind kulturell bedingt (westlich!) und nicht universell. Deshalb sind jene Ableitungen konkreter Verhaltensweisen zur erfolgreichen Bewältigung des interkulturellen Unternehmensalltags am erfolgreichsten, die ihre Erklärungsversuche direkt auf die Vorstellungswelt der jeweiligen Kultur gründen und konkrete kulturelle Manifestationen aus Ausgangspunkt verwenden. So müsste einem deutschen Manager in Thailand zunächst einmal zur Zurückstellung kurzfristiger Unternehmensziele geraten werden. Anstatt eine "kollektivistische" Strategie zu verfolgen und durch feste Gruppenregeln und Umsetzungsdruck Widerstand und/oder Kündigungen hervorzurufen, sollte zunächst eine deutliche Demonstration von Güte und Nachsicht mit den thailändischen Mitarbeitern angestrebt werden. Ein solches Verhalten kann sich beispielsweise in öffentlichem Lob, sowie persönlichem Engagement und authentischem Bemühen um das Wohlergehen der Mitarbeiter äussern. Ziel dieses Verhaltens sollte die Ausbildung und Erhaltung einer guten Atmosphäre sein, die von berechenbarem gegenseitigen Vertrauen, Wohlwollen und Sicherheit geprägt ist. Dieser Prozess könnte besonders unterstützt werden durch eine, deutschen Standards zunächst zuwider laufende, Toleranz von individuellem Freiraum und demonstrierte Grosszügigkeit gegenüber spielerischer Regelauslegung der thailändischen Mitarbeiter, sofern daraus für das Unternehmen keine unmittelbaren Nachteile entstehen. Erst in einem zweiten Schritt können dann auf Basis der entstandenen Loyalität und Motivation der thailändischen Mitarbeiter angestrebte Unternehmensziele erfolgreich umgesetzt werden.
Quellen: Bolten, J./Schröter, D. (Hg.). Im Netzwerk interkulturellen Handelns – Theoretische Perspektiven der interkulturellen Kommunikationsforschung. Sternenfels 2001 (Wissenschaft und Praxis) Hansen, K. 2000. Kultur und Kulturwissenschaft. Paderborn 2000; 2. Aufl. (UTB) Mulder, N. 2000. Inside Thai society – Religion, Everyday Life, Change; Chiang Mai 2000 (Silkworm Books). Rathje, S. 2003. Unternehmenskultur als Interkultur – Entwicklung und Gestaltung interkultureller Unternehmenskultur am Beispiel deutscher Unternehmen in Thailand, Diss. Eingereicht UdK Berlin, erscheint als Bd. 8 der Reihe Interkulturelle Wirtschaftskommunikation, Sternenfels 2003 (Wissenschaft und Praxis).
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