Chulalongkorns Reformen als Brücke vom alten Siam zum modernen Thailand
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Als König Mongkut 1868 starb, wurde sein Sohn Chulalongkorn als Nachfolger eingesetzt wobei die Macht bis 1873 formell nicht der jugendliche
König innehatte, sondern ein Regent (Suriyawong). Suriyawong war der eigentliche Herr des Staatsapparates in dieser Periode der Regentschaft,
so wie er es vorher unter Mongkut gewesen war, und de facto bis zu seinem Ableben 1883. Nach seiner zweiten Krönung zur Beendigung der formellen
Regentschaft Suriyawongs (1873) begann Chulalongkorn eine Serie von Reformen, die seine modernen Ansichten und Reformpläne deutlich
zeigten. Diese Intentionen führten schliesslich zu einer schrittweisen Abschaffung der Sklaverei und zu strengen Regeln und Standards für
"Schuld-Sklaverei", wodurch er den wirtschaftlichen Status der alten bürokratischen Elite untergrub. In all seinen königlichen Dekreten enthüllte
der junge König seine Vision eines zukünftigen Siams, eines Staates, der durch die höchsten Ideale der buddhistischen Moral
aber auch zur gleichen Zeit die Erwartungen und Standards des Westens. Erst viel später erkannte der König die in dieser Vision inherenten
Widersprüche.
Als Suriyawong, Wichaichan und all die anderen alten Minister zwischen 1882 und 1888 verstarben oder in den Ruhestand traten, waren die ihnen untergeordneten Bürokraten und Vertreter der alten Ordnung plötzlich ohne den Schutz ihrer ehemaligen Patrone. Chulalongkorn konnte nun durch die Ernennung seiner gut vorbereiteten und loyalen Brüder in Schlüsselpositionen in diesen Ministerien, eine handfeste Machtverschiebung in seine eigenen Hände erreichen. Chulalongkorn wollte Reformen und sympatisierte durchaus mit dem politischen System einer parlamentarischen Demokratie unter einer konstitutionellen Monarchie. Aber er war der Ansicht, dass ein solches System nicht unmittelbar möglich war, vor allem weil es zu dieser Zeit im Königreich praktisch keinerlei moderne Ausbildungsmöglichkeiten gab, die aber Voraussetzung für die Heranbildung einer modernen und verantwortungsbewussten politische Elite gewesen wäre, welche das Land hätte führen können. Die alten Bürokraten waren aus seiner Sicht inkompetent um das Land zu reformieren und die grosse Masse der Bevölkerung hatte seit alter Zeit nichts anderes gelernt als sich der Obrigkeit unterzuordnen und hatte kein politisches Bewusstsein. Aus diesen Gründen sah er langsame, graduelle Reformen als den richtigen Weg an, nicht zuletzt um die nationale Unabhängigkeit angesichts bedrohlicher Britischer und Französischer Kolonialinteressen zu bewahren. Chulalongkorns Reformen führten zur Bildung einer Regierung durch ein Kabinett (1892), welches sich durch ganz neue Muster der Entscheidungsfindung auszeichnete. Die Minister kamen regelmässig zu Arbeitsgesprächen zusammen (was früher nicht der Fall war !), wodurch sich so etwas wie eine koherente nationale Politik entwickeln konnte. Dazu trug auch nicht unwesentlich die Zentralisierung der Steuereinnahmen im Finanzministerium bei, die eine gegenseitige Abhängigkeit der Ministerien zur Folge hatte, welche ehemals (ein jedes für sich) fiskale Unabhängigkeit ausgeübt hatten. In der Folge konnte die Zentralregierung auch seine Kontrolle über die Randgebiete des Reichs, insbesondere über die ehemaligen Vasall- bzw. Tributstaaten (von Chiang Mai bis Phuket), stärken. Nach innen konnte also eine Stärkung der Zentralgewalt erreicht werden, nach aussen hin hatte Chulalongkorn jedoch keine andere Wahl, als Gebietsverluste hinzunehmen: Alles Land östlich des Mekong (Laos) wurde 1893 von den Franzosen in "ihr" Indochina einverleibt. Nach langen Verhandlungen mit den Briten traten die Siamesen 1909 auch ihre Oberherrschaft über vier malaischen Sultanate (Kelantan, Trengganu, Kedah und Perlis) ab, erhielten im Gegenzug jedoch die Jurisdiktion über Britische Bürger in Siam zurück. Die konsularische Jurisdiktion und Extraterritorialität sowohl von Briten als auch von Franzosen war den Siamesen schon lange vor Chulalongkorn aufgezwungen worden; mit den Franzosen konnte dieser Zustand 1906 beendet werden. Die Reformen und Modernisierungsanstrengungen erfuhren mit der Ernennung von Prinz Damrong Rajanubhab zum Innerminister eine neue Dynamik. Administrative Veränderungen in der Verwaltung der Provinzen (inkl. Entsendung junger modern ausgebildeter Verwaltungsbeamter) führte zur Entmachtung der alten halbfeudalen Provinzgouverneure und zur Umleitung von deren Lokalsteuern in die zentrale Staatskasse. Moderne Gesetze wurden auch am Land eingeführt und neue Polizeieinheiten gebildet, sodass ein Grad von Sicherheit für Personen und Besitz erreicht wurde, der vorher unbekannt war. Ein grosser Teil der neuen Staatseinnahmen floss in den Bau von Eisenbahnlinien, welche bald eine schnelle Kommunikation mit dem Nordosten des Landes ermöglichte (die Bahnlinie erreichte Nakhon Ratchasima im Jahr 1900), und dem Norden - wobei hier Sicherheitsüberlegungen eine ebenso grosse Rolle spielten wie wirtschaftliche oder verwaltungstechnische Belange. Das Reformprogramm hatte um 1905 den Punkt erreicht, an dem der zwangsweise Arbeitsdienst (seit alters her das wirtschaftlich Standbein der alten Ordnung) schrittweise aufgehoben, und durch ein System an Steuern sowie einen begrenzten Militärdienst ersetzt werden konnte. Dennoch waren die Reform- und Modernisierungsvorhaben (trotz der Vermehrung der Staatseinnahmen) eine grosse Belastung des Staatsbudgets und auch der Mangel an ausgebildetem Verwaltungspersonal führte dazu, dass Kompromisse bei der Umsetzung der Reformen gemacht werden mussten. Der König wusste um die Widersprüche in der sich seine Nation befand, was Modernisierung in der Theorie alles erfordern würde und was die europäischen Staaten von ihm in dieser Hisicht erwarteten, aber erst seine erste Reise nach Europa (1897) öffnete ihm die Augen als er sah, dass der Fortschritt in Europa auch sehr ungleich verteilt war und es auch hier Armut und Rückständigkeit gab. Er erkannte, dass Fortschritt nicht das alleinige Mass aller Dinge ist, und dass in seinem Land (wie auch in Europa) innerhalb von modernen Strukturen auch Platz für eigene Traditionen sein muss. Er war nun innerlich bereit Kompromisse einzugehen und die Siamesische Individualität, die besten Werte der Siamesischen Zivilisation in eine moderne Struktur zu integrieren. Deshalb ermunterte er nun beispielsweise auch buddhistische Mönche sich wieder ins Erziehungssystem einzubringen, und zwar um die Bedürfnisse Siams zu befriedigen und nicht jene Europas. Er akzeptierte, dass einige Dinge in Siam anders als in Europa ablaufen würden, weil Siam trotz allem immer noch Siam war. Die Regierung sollte neue Aufgaben übernehmen ohne den Staat oder die Kultur die er repräsentiert zu zerstören. Als Chulalongkorn am 24.Oktober 1910 starb, war das ganze Königreich geschockt wie niemals zuvor. Er hatte 42 Jahre lang regiert und nur wenige konnten sich überhaupt an einen anderen König erinnern. Kein König zuvor oder danach hat das Land in seinen Grundstrukturen so verändert wie er, es war noch nicht das moderne Thailand wie wir es heute kennen, aber er hat eine Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft und in die Moderne gebaut. Der 23. Oktober wurde später zum gesetzlichen Feiertag erklärt, die Thais nennen ihn "Won Piya Maharaj" oder "Der Tag des geliebten und grossen Königs", bei uns Ausländern ist er einfach als "Chulalongkorn Tag" bekannt, an dem noch heute tausende Menschen zu seiner Reiterstatue (vor der Nationalversammlung beim Dusit Zoo) in Bangkok kommen um ihn zu dessen Füssen mit bunten Blumen und Erinnerungskränzen zu ehren.
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