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Nachrichtenarchiv Thailand
Mai 2004 - Kommentar zu Demokratie und Armut in Thailand
Den Jahrestag des sogenannten "Black May", der blutigen Niederschlagung der Demonstration von 1992, nahm Kanjana Spindler in der
Bangkok Post zum Anlass, einige recht ketzerische Gedanken von Seksan Prasertkul, einem angesehenen Wissenschaftler und Aktivisten während der Studentenunruhen von 1973, zu zitieren, die er im Oktober vergangenen Jahres anlässlich des dreissigsten Jahrestags dieses Aufstands in einer Rede geäussert hatte. Er benutzte seine persönlichen, unmassgeblichen Erfahrungen, um die Regierung zu kritisieren, die tatkräftig und mit einer vom Premierminister persönlich ausgewählten und kontrollierten Elite notwendige politische und wirtschaftliche Massnahmen mit Sachkenntnis und extremem Fingerspitzengefühl durchsetzt;
"Unsere derzeitige repräsentative Demokratie ist nicht in der Lage, für das Wohl der Gesellschaft als Ganzes zu sorgen, und noch weniger, Thailand aus seinen vielen Krisen herauszuhelfen. Ich wage zu sagen, dass die Hauptaufgabe eines Führers in einer Demokratie nicht darin besteht, Kommandos von oben nach unten durchzugeben, sondern er muss ein Experte darin sein, die von der Zivilgesellschaft aufgeworfenen Fragen aufzugreifen, die verschiedenen Meinungen einzuholen und in die politische Entscheidungsfindung einfliessen zu lassen."
Er zählte drei Faktoren auf, die seiner Meinung nach die wesentlichen Ursachen für das Versagen Thailands bei der Lösung der drei wichtigsten Probleme des Landes sind, nämlich der Armut, der sozialen Ungerechtigkeit und dass das Bildungssystem nicht wirklich auf Wissenserwerb ausgerichtet ist: die unausgewogene Entwicklungsstrategie, die Unzulänglichkeit des parlamentarischen Systems und die Auswirkungen der Globalisierung.
Als Beweis für die soziale Ungerechtigkeit führte er an, dass der Anteil des untersten Bevölkerungsfünftels am Volkseinkommen in den letzten dreissig Jahren von 6 auf unter 4 Prozent gesunken ist, während gleichzeitig der Anteil des obersten Fünftels von 49 auf 58 Prozent anstieg. Seiner Schätzung nach gehören 70 Prozent aller Bankeinlagen weniger als 1 Prozent der Bevölkerung.
Das derzeitige parlamentarische System lässt diesen Zustand nicht nur zu, es legitimiert ihn sogar, sagt er. Es kranke an einem Strukturproblem, das sich auf die Politik und die Regierung auswirke. "Wenn eine repräsentative Regierungsform in einem Land eingeführt wird, in dem die meisten Menschen arm und unterprivilegiert sind, bedeutet das, dass sich der politische Wettbewerb auf eine kleine Elite konzentriert, die wirklich die Voraussetzungen hat, in die politische Arena zu steigen. Die niedrigeren Klassen hingegen dienen nur als Legitimierung für das Wahlsystem. Infolgedessen müssen sich alle, die ihr Dasein verbessern wollen, in die Abhängigkeit eines Paten-Netzwerkes begeben. In diesem Netzwerken finden aber nicht alle Unterschlupf, und es widerspricht jedem politischen System, in dem das Volk der Souverän ist."
Deshalb sei es dringend notwendig, die Demokratie bis auf die untersten Stufen auszudehnen, meint Seksan, damit die Menschen bei Problemen, die Ihr Dasein und ihre Lebensqualität betreffen, mitreden können. Der Begriff "Grassroots democracy" (Basisdemokratie) dürfe nicht missverstanden werden. Es bedeute nicht, dass man in jedem Winkel des Landes irgendein Gremium wählen soll. Sondern es gehe um eine Stärkung des Rechtes aller Bürger, an der Politik und der Regierung des Landes teilzuhaben, ist Seksan überzeugt. Mit anderen Worten: um eine direkte Demokratie, in der die Menschen wenigstens ein gewisses Mass an Einfluss bekommen, und wo sich die Volksvertreter nicht einmischen. "Den Armen geht es nicht um öffentliche Ämter. Sie wollen auch keine Partei gründen, um im Parlament mitzumischen. Was sie brauchen, ist das Recht, ihre natürlichen Ressourcen selbst zu verwalten, sich ihre Kultur und Umwelt zu bewahren und ihr Leben selbst zu bestimmen."
Für Frau Spindler ist das die zentrale Frage, die sich dem thailändischen Volk in der jetzigen Situation stellt: wie soll die Basisdemokratie aussehen, und wieviel davon braucht das Land. Die Verfassung von 1997 sieht eine doppelte Dezentralisierung vor, sowohl budgetär als auch hinsichtlich direkter lokaler Wahlen. Letztere seien jedoch im Begriff, von der derzeitigen Elite vereinnahmt zu werden. Die Auseinandersetzung in dieser Sache werde Thailand im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts prägen, prophezeit sie. wbp
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