Nachrichtenarchiv Thailand
September 24, 2006 Die Putschisten in Thailand haben im Norden des Landes nach eigenen Angaben mehr als 300 gemeindeeigene Radiosender geschlossen. Die am Freitag vorgenommene Massnahme diene der "Vermeidung von Unruhen und von Verwirrung über die Lage". Das teilte ein Sprecher der Militärjunta am Sonntag mit. Die ländlich geprägten Provinzen des Nordens gelten als Hochburgen des von den Militärs gestürzten bisherigen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra. Dieser stammt aus der nördlichen Region Chiang Mai, wo ebenfalls Radiosender geschlossen wurden. Von der thailändischen Militärführung hiess es weiter, ein Übergangs-Ministerpräsident soll nach Möglichkeit schon in dieser Woche benannt werden. Der Name des neuen Regierungschefs werde vermutlich in den nächsten Tagen feststehen und frühestens Ende der Woche bekannt gegeben werden, sagte ein Sprecher am Sonntag. Schon unmittelbar nach ihrem Putsch hatten die Militärmachthaber zugesichert, bald einen zivilen Ministerpräsidenten für eine Übergangsregierung zu benennen.
September 22, 2006 Drei Tage nach dem Militärputsch in Thailand hat König Bhumibol Militärchef Sonthi Boonyaratglin offiziell den Regierungsauftrag erteilt. Ein Militäroffizier verlas am Freitag einen entsprechenden königlichen Erlass. Generalstabschef Sonthi ist nun offiziell als Führer des neuen Militärregierungsrats anerkannt. Der Armeechef nahm die königliche Ernennung in einer weissen Uniform entgegen, wie dass staatliche Fernsehen in einer Übertragung der offiziellen Zeremonie zeigte. Anschliessend kniete er nieder und verneigte sich tief vor einem Bild des Königs. Der umstrittene Regierungschef Thaksin Shinawatra war in der Nacht zu Mittwoch gestürzt worden. Er hält sich momentan als "Privatmann" in London auf. Die Armeeführung hatte am Donnerstag jegliche politische Aktivität im Land verboten. Die Parteien könnten ihre Tätigkeit wieder aufnehmen, sobald "die Normalität wiederhergestellt ist", hiess es.
Vordergründig hat sich der Alltag in Thailand nach dem unblutigen Militärputsch schnell «normalisiert». Auf der politischen Ebene gibt es allerdings statt Normalisierung Einschränkungen der Grundrechte. Noch aber ist der Staatsstreich erstaunlich populär. Zumindest vom äusseren Eindruck her hat sich in Thailand am Donnerstag, dem zweiten Tag nach dem unblutigen Militärputsch gegen den im Ausland weilenden Regierungschef Thaksin, die Lage weitgehend «normalisiert». Nach dem durch die Junta von General Sonthi Boonyaratglin verordneten arbeitsfreien Mittwoch waren landesweit Ämter, Schulen, Banken und auch die Bangkoker Börse wieder geöffnet. Dabei blieb bemerkenswerterweise auch der von Beobachtern im Ausland prophezeite massive allgemeine Kurssturz aus, obwohl die Werte einiger eng mit dem gestürzten Regierungschef und seiner Sippe in Verbindung gebrachter Firmen zeitweise um bis zu zwanzig Prozent absanken. Aus dem Strassenbild der Hauptstadt sind zudem die vorletzte Nacht vielenorts postierten Uniformierten und ihre Panzer wieder verschwunden, auch wenn dem Vernehmen nach von Mittwoch auf Donnerstag aus entfernteren Landesteilen weitere den Putschgenerälen treu ergebene Truppen als Reserve "für alle Fälle" in die Hauptstadt verlagert worden sind. Wie kaum anders zu erwarten, herrschte denn auch schon von den frühen Morgenstunden an wieder allenthalben das vertraute Bangkoker Verkehrschaos. Auf staatlicher Ebene kann derweil jedoch von einer Normalisierung noch nicht die Rede sein. Im Gegenteil, in mittlerweile bereits 16 Communiqués hat die sich offiziell «Administrative Reform Council» (ARC) nennende Junta begonnen, über die Ungültigerklärung der bisherigen Verfassung hinaus die Grundrechte zumindest der Form nach empfindlich zu beschneiden. So wurde nach dem schon in den ersten Stunden des Putsches erlassenen Verbot der Versammlung von mehr als fünf Personen nun auch jegliche parteipolitische Aktivität "vorübergehend" verboten. Im Wortlaut der entsprechenden Erklärung heisst es, das bisherige Parteiengesetz werde zwar nicht ausser Kraft gesetzt, doch seien vorderhand weder Neugründungen noch Auflösungen bestehender Parteien und auch keine Parteiversammlungen gestattet. < Überdies hat die Junta am Mittwoch die Chefs aller Fernseh- und Radiostationen sowie der Zeitungen vorgeladen, um ihnen neue Medienregeln zu erklären. Sie wurden aufgefordert, eine "sachliche" Berichterstattung zu leisten und auf die Veröffentlichung von «unkonstruktiven» oder gegen die Militärregierung "hetzenden" Inhalten zu verzichten. In den Donnerstagausgaben der Presse erschienen Kommentare, die den Staatsstreich teilweise durchaus kritisch-skeptisch als «undemokratische» Massnahme bezeichneten. Offenbar wurden solche Äusserungen bisher nicht moniert. Hingegen verboten die Militärs am Donnerstag den Fernseh- und Radiosendern ausdrücklich die hierzulande enorm populäre Weiterverbreitung der vom Publikum mittels Mobiltelefonen zugesandten Meinungsbeiträge in "SMS-Form" wie auch das Ausstrahlen von direkt in Anrufen geäusserten politischen Ansichten. Im Verlauf des Tages kam es vor dem Armeehauptquartier, das gegenwärtig als Sitz der militärischen Übergangsregierung dient, erstmals seit dem Truppenaufmarsch zu zwei kleineren Zwischenfällen. Der ARC hatte schon am Mittwoch mehrere hochrangige Mitarbeiter und Minister Thaksins zur Fahndung ausgeschrieben, von denen bekannt war, dass sie nicht wie die Mehrheit ihrer Kollegen ins Ausland geflüchtet waren, sondern sich ausserhalb der Hauptstadt versteckt hielten. Zwei von diesen, Newin Chidchob, einer von Thaksins engsten Vertrauten, und der weitherum wegen seiner angeblichen Korruptheit verhasste bisherige Minister für Umweltschutz, Yongyuth Tiyapairat, wollten sich daraufhin im Hauptquartier der Putschisten stellen. Als Grüppchen von Bangkokern - an sich vor Ort, um den Soldaten Blümchen, Getränke und Esswaren zu schenken und um mit ihnen die in den letzten zwei Tagen hier Mode gewordenen Erinnerungsfotos zu knipsen - die ankommenden entmachteten Minister erkannten, stürzten sie sich sogleich unter lautem Gejohle auf deren Autos und begannen diese mit Fäusten und Fusstritten zu traktieren. Die Soldaten waren gezwungen, den Tumult zu beenden, indem sie das sie eben noch bewundernde Volk unsanft zurückdrängten. Insgesamt aber herrschte am Donnerstag in der ganzen Stadt eine fast schon an Begeisterung grenzende Stimmung. Der Putsch gegen Thaksin, der im westlichen Ausland, aber auch von Zeitungen in einigen Nachbarländern als Rückschlag für die Demokratie kritisiert wird, wird hier von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung als «neuer Aufbruch» willkommen geheissen, als "Chance für die Re-Demokratisierung nach der schleichenden Erwürgung durch Thaksins Machenschaften", wie das einer der Befragten bezeichnete. Eine von dem als zuverlässig geltenden Meinungsforschungsinstitut Suan Dusit Poll am Mittwoch durchgeführte Umfrage ergab, dass sich diese Stimmung erstaunlicherweise durchaus nicht nur auf die dem Regierungschef seit langem feindlich gesinnte Hauptstadt begrenzte, sondern auch in den traditionell als Thaksin-Hochburgen geltenden Landprovinzen vorherrschte. Allerdings fehlte es am Donnerstag nicht gänzlich an kritischen Stimmen; neben den erwähnten Zeitungskommentaren bezeichneten auch Menschenrechtsorganisationen und bisherige Oppositionspolitiker den Staatsstreich als grundsätzlich fragwürdiges Mittel zur Beseitigung der Thaksin-Herrschaft. Bleibt zu hoffen, dass die Junta bei dem an sich verständlichen Versuch, die Macht angesichts der Gefahr eines Gegenputsches durch Thaksin-treue Kräfte zu konsolidieren, nicht versuchen, solche Stimmen zum Schweigen zu bringen. Das würde sich mit Sicherheit als schwerer Fehler entpuppen. Denn gerade das Schicksal des kometenhaft aufgestiegenen und nun von ihnen gestürzten populistischen Tyrannen zeigt ja, wie schnell die Volksstimmung im Königreich umschlagen kann.
Der Militärputsch in Thailand kam nicht unerwartet. Seit Wochen kursierten in Bangkok Gerüchte über einen bevorstehenden Coup gegen Ministerpräsident Thaksin. Nach den Massenprotesten im Frühjahr und dem vorübergehenden Rücktritt Thaksins hatte sich die Lage zwar etwas entspannt, doch unter der Oberfläche brodelte es weiter. Der erbitterte Machtkampf zwischen Regierung und Opposition führte zur politischen Lähmung und zu einer nie da gewesenen Polarisierung des Landes. Dass die Armee dem politischen Chaos ein Ende gesetzt hat, wird vor allem in der Hauptstadt Bangkok begrüsst. Das Militär habe keine andere Wahl gehabt, als Thaksin aus dem Amt zu jagen, heisst es. Die Demokratie habe unter dem abgesetzten Regierungschef jede Glaubwürdigkeit verloren. Diese Argumentation ist gefährlich. Thaksin ist sicherlich eine höchst unsympathische Figur. Der milliardenschwere Geschäftsmann ist ebenso berüchtigt für Korruption und Machtmissbrauch wie für seinen autoritären Regierungsstil. Unter der Regie des Telekommunikations-Moguls wurden unabhängige Medien gegängelt und im Namen eines "Kriegs gegen Drogen" Tausende von Verdächtigen aussergerichtlich erschossen. Zudem verfolgte Thaksin im muslimischen Süden eine erbarmungslose Repressionspolitik, die zu einem bedrohlichen Aufflammen des ethnisch-religiösen Konflikts führte. Dennoch ist es kaum zu rechtfertigen, dass ein Regierungswechsel nun mit den gewaltsamen Mitteln eines Staatsstreiches der Streitkräfte erzwungen wurde. Der Putsch ist ein schwerer Schlag für die junge thailändische Demokratie. Die moderne Geschichte des Landes ist geprägt von Militärcoups - zwischen 1932 und 1991 waren es nicht weniger als 17. In den letzten 15 Jahren sah es oberflächlich so aus, als habe sich Thailand zu einer funktionierenden Demokratie entwickelt. De facto sind die demokratischen Institutionen aber schwach geblieben. In erster Linie hängt dies damit zusammen, dass die Politiker des Landes wenig auf Volkssouveränität und Gewaltenteilung geben, wenn ihnen diese in die Quere kommen. Thaksin hat in den fünf Jahren, in denen er an der Macht war, die Verfassung systematisch untergraben und alle Checks and Balances im Staat ausgehebelt. Die oppositionellen Demokraten haben mit Massenprotesten und einem Wahlboykott der Demokratie ebenfalls schweren Schaden zugefügt. Mit Unterstützung der städtischen Elite haben sie einen Premierminister aus dem Amt gedrängt, der bei der ländlichen Bevölkerung äusserst populär war. Thaksins Partei hat in den vergangenen Jahren in drei Urnengängen eine absolute Mehrheit erreicht. Auch die Bürger lassen allerdings ein grundlegendes demokratisches Verständnis vermissen. In Krisensituationen ertönt regelmässig der Ruf nach einem Machtwort des Königs, der für die Thailänder immer noch die höchste moralische Instanz ist. Dieser Reflex verträgt sich aber ebenso wie der Ruf nach der starken Hand des Militärs schlecht mit demokratischen Prinzipien. Bezeichnend ist, dass auch in der gegenwärtigen Situation viele Thais der Meinung sind, die Armee könne die Probleme des Landes besser lösen als die Politiker. Die Putschisten haben versprochen, in zwei Wochen eine Regierung zu ernennen und spätestens in einem Jahr die Macht abzugeben. Wie ernst es ihnen damit ist, wird sich zeigen. Auch General Musharraf hatte 1999 bei seiner Machtübernahme in Pakistan erklärt, die Militärherrschaft sei nur eine Übergangslösung. Doch die Pakistaner warten noch immer auf die Rückkehr zur Demokratie.
Wenn den Generälen in Thailand der Wille des Volkes wichtig ist, wieso haben sie dann nicht die geplanten Neuwahlen abgewartet? Wieso haben Thaksins Gegner nicht versucht, ihn an der Urne zu besiegen? Offenbar bestand die Befürchtung, dass das Volk "falsch" entscheiden und dem Populisten erneut zum Sieg verhelfen könnte. Selbst wenn die Putschisten tatsächlich ein kompetentes Kabinett einsetzen sollten, in dem alle politischen Kräfte vertreten sind, bleibt ein ungutes Gefühl. Denn die bestimmende Kraft hinter der neuen Regierung wird trotz allen schönen Worten die Armee sein und nicht das Volk.
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