Das alte Thailand


Reisen in Siam im Jahre 1863 - Adolf Bastian

Fortsetzung - 2.Teil

Mit der Dämmerung rüstend, hatten wir den Bach zu durchwaten, was sich im Laufe des Vormittags verschiedentlich wiederholte, bis uns das geöffnete Tal auf ein Flachland welliger Hügellinien führte. Sie waren nur mit dünnem Wald bedeckt, so dass sich wieder eine frischere Luft atmen ließ. Noch einmal, als wir den zum Menam fließenden Metong erreichten, sanken wir in düsterm dichten Jungle nieder, tauchten aber dann auf einer freieren Ebene, die nur mit niedrigem Gebüsch bedeckt war, daraus hervor. Nachdem wir nicht ohne Mühe verirrte Nachzügler unserer Gesellschaft wieder aufgefunden hatten, lagerten wir nachts am Metong in einer schon Spuren von Anbau zeigenden Gegend. Auch schien ein Haus in der Nähe; denn obwohl hohe und dichte Hecken, die sich kaum von dem übrigen Pflanzenwuchs unterschieden, jede Spur desselben dem Auge entzogen, hörten wir doch bei Nacht entferntes Hahnengekrähe zu uns herübertönen. Die aufgehende Sonne fand uns schon auf dem Wege und in neugekräftigter, heiterster Stimmung. Die Luft war frisch und klar, Bäume und Büsche beengten uns nicht durch die ungezügelte Naturwüchsigkeit des Jungles, sondern bogen sich in zierlichen Lauben oder standen geordnet in Alleen, und als der Weg sich eine Erhöhung hinaufzog, blickten wir auf einen freien, reinen und glänzenden Horizont, in dem in weiter Ferne eine mannigfaltig gestaltete Gebirgskette aufstieg, eine Gebirgskette, die nach der Mitteilung unserer Führer schon jenseits des Menam lag, so dass wir also hier über das fruchtbare Tal des siamesischen Niles hinwegblickten. Als wir zu einer neuen Windung des Metong hinabritten, fanden wir uns endlich wieder zwischen Menschenwohnungen. Männer und Frauen gingen ihren Tagesgeschäften nach oder standen an den Türen ihrer Häuser, die ungewohnten Reisenden vorüberziehen zu sehen. Ein zufälliges Geräusch erschreckte einen, wahrscheinlich nur an Stille und Einsamkeit gewöhnten Elephanten so, dass er wild gemacht in einen Garten einzubrechen suchte; doch gelang es dem Cornac, seiner Meister zu werden, noch ehe ein Unheil angerichtet war. Als wir der Einmündung des Metong in den breiten und teilweise das Land überflutenden Menam erreichten, sahen wir auf der anderen Seite die Häuser und Strassen der Stadt Rahein oder Yahein (Lahaing) sich auf eine weite Ausdehnung am Ufer hinstrecken. Über die Art und Mittel der Überfahrt bedurfte es erst langer Erörterungen mit den Eingeborenen, bis es uns gelang eines Bootes habhaft zu werden, mit dem meine Diener und die übrigen Fußgänger übergesetzt werden konnten. Wir wateten dann mit den Elephanten zu einer Sandbank hinüber, auf der die Karen hin und her ritten, um eine passenden Furt zu finden. An einer scheinbar günstigen Stelle wurde der größte der Gepäck-Elefanten vorausgeschickt, und ich folgte auf dem meinigen beritten. Kaum waren aber die Tiere etwas in die Mitte des Stromes hinaus, als sie große Mühe hatten die Strömung zu stemmen. Die Heftigkeit nahm zu, je weiter wir uns dem abschüssigen Ufer der anderen Seite näherten. Der Elefant vor mir war schon so tief im Wasser, dass alle auf ihn gepackten Sachen in's Treiben gerieten, und plötzlich sah ich, wie das Tier seinen Fuß verlor und selbst zu treiben anfing. Der reißende Strom riss es mit unaufhaltsamer Schnelligkeit abwärts, und nur durch die gewaltigsten Anstrengungen gelang es dem Corac, in weiter Entfernung unterhalb an einer dort vorspringenden Spitze des glücklicherweise schon nahen Ufers anzulanden. Der Reit-Elefant war noch eben in Zeit angehalten und wurde nicht ohne Mühe nach der Sandbank zurückgebracht, wo ich warten musste, bis vom andern Ufer gesandte Boote mich mit den wichtigsten Teilen des Gepäckes nach der Stadt übersetzten. Die Elephanten langten dort erst viele Stunden später an, da sie einen weiten Umweg hatten machen müssen, um eine passierbare Furt zu finden.

Als ich meine Dienerschaft wieder aufgefunden, verweilte ich unter den schattigen Bäumen eines mitten in der Stadt gelegenen Klosterhofes und ließ durch einen Boten meine Briefe und Papiere an den Gouverneur oder (da mir dessen zeitweilige Abwesenheit schon mitgeteilt war) seinen Stellvertreter überbringen. Bald darauf erschien der Sohn der Gouverneurs, der mich willkommen hieß und ausserhalb der Stadt nach einem weiten Klostergarten brachte, dem gegenüber ein reinliches und geräumiges Bambushaus stand, das er mir zur Wohnung während meines Aufenthaltes anwies. Bald fanden sich verschiedene Behörden ein, um ihre Aufwartung zu machen, Mönche kamen aus ihren Zellen herbei, und ein Haufe Neugieriger belagerte die Tür. Unter den Frauen bemerkte ich außer der gewöhnlichen Haartracht eine kammartige Frisur auf dem Hinterkopfe. Die Karen wurden abbezahlt und zeigten sich sehr überrascht und verlegen, als ich noch einige kleine Geschenke über den stipulierten Preis hinzufügte. Der Vormann erklärte, dieselben nicht annehmen zu können, da sie schon im Voraus berechnet hätten, wie viel auf jeden Kopf kommen und sich mit einer neuen Teilung nur unlösbare Schwierigkeiten bereiten würden. Die Siamesen konnten sie nicht genug über diese Skrupel auslachen und wunderten sich besonders, als ich dem Cornac des fortgetriebenen Elefanten für seinen Schrecken eine Vergütung gab, da sie meinten, ich hätte ihm vielmehr den Wert der durch seine Unvorsichtigkeit verlorenen Gegenstände an der Gage abziehen sollen.

Rahein schien eine lebendige und betriebsame Stadt zu sein. Ich hatte im Vorbeigehen viele Schiffe auf den Werften gesehen, teils halbfertige, teils alte zum Ausbessern. Einige der Strassen bildeten eine unterbrochene Reihe von Buden, die größeren Häuser (oft mit spitzem Dach) lagen meist in einem Hofe, zwischen den Nebengebäuden. Beim Besuchen des Klosters fand ich an dem das Hauptbild enthaltendem Steingebäude, das von mehreren kleinen Götzentempeln umgeben war, Frauen am Eingang sitzen, um Blumen und Buntpapier zu verkaufen. Als Geld wurden außer dem gewöhnlichen siamesischen kleine Porzellanstücke mit chinesischen Charakteren verwandt. Die ganzen Zugehörigkeiten des Klosters wurden von einer Steinmauer umschlossen, in die von der Straßenseite enge Türen führten. Vorbeigehende brachten mit zusammengelegten Händen Verehrung, und wenn sie einen Priester draußen stehen sahen, knieten sie vor ihm nieder. Auf den hohen Glockenturm führten steile Treppen. Da der Garten unmittelbar an den Menam-Fluß stieß, so hatten die Priester sich dort einen bequemen Badeplatz zubereitet, den auch ich in der Abendkühle benutzte. Beim Nachhausekommen fand ich die Zahl meiner Kranken durch den Koch und den Dolmetscher vermehrt. Der siamesische Name Rahein, oder eigentlich Raheng, wird von den Birmanen, die r und y verwechseln, Yahein gesprochen, während die Laos, die statt r nur l kennen, Lahein sagen.

Meine ersten Tage in Raheng gingen mit den Beratungen darüber hin, ob die von mir beabsichtigte Reise nach Bangkok zulässig sei, denn der Gouverneur (sowie vor seiner Rückkehr schon sein Stellvertreter) bestand darauf, dass nach dem Vertrage Siam nur von Bangkok aus betreten werden dürfe und Niemand im Lande ohne einen Pass des dortigen Konsuls reisen könne. Meine Einwendungen, dass die an diesen Konsul gerichteten Papiere des englischen Statthalters von Molmein als gleichbedeutend angesehen werden dürften, wollten sie nicht gelten lassen. Doch wurden meine in Birmanischem ausgestellten Pässe ins Siamesische übersetzt und wiederholentlich geprüft. Der Gouverneur schlug dann vor, dieselben nach Bangkok zu senden, um von dort die Antwort abzuwarten, gab indess schließlich nach, als er mich zu solchem Aufenthalt abgeneigt fand und ich Versuche machte, ohne seine Unterstützung auf eigenes Risiko abzureisen.

Ich hatte anfangs mit dem Stadtrichter verhandelt, dem meine Begleiter noch den birmanischen Tikel Sekay gaben, war aber bei der Rückkehr des Gouverneurs demselben vorgestellt worden. Eine vorgerückte Nachmittagsstunde war für die Zusammenkunft bestimmt, und der Richter begleitete mich zu demselben. Die Residenz bestand in jenem Konglomerat großer und kleiner Gebäude von Höfen umschlossen, wie man sie durchweg in Indien mit einem bezeichnenden Worte Compound (von dem Malayischen Kampong) nennt. Die Mitte nahm das Wohnhaus ein, eine von umlaufender Veranda umgebene Halle, an deren Seiten sich die Eingänge zu den kleineren Privatzimmern des Innern fanden. Im Hintergrund der Halle war mit einer Entfaltung aller Arten von Waffen geschmückt. In einem Gestelle standen Speere, Banner, Büsche und sonstige Embleme, wie sie den hohen Beamten als Zeichen ihrer Würde beim Ausgang voraus getragen werden. An der Rückwand hingen, sorgsam gruppiert, Schilde und reich verzierte Schwerter, sowie eine Auswahl der verschiedenen Hieb- oder Schutzwaffen, wie sie von den umwohnenden Bergstämmen gebraucht werden. An der einen Seite der Halle stand ein gedeckter Tisch, der eine lange Reihe von Speiseschüsseln trug, lackierte oder metallene Schalen, jede mit dem Aufsatz einer Blätter-Pyramide als Deckel. An dieselben war ein Armstuhl chinesischer Arbeit gerückt, und in der Mitte des Zimmers stand ein ähnliches Möbel, das für mich bestimmt war. In einiger Entfernung, daneben und dahinter, lagen buntgewirkte Teppiche mit hohen, dicken Kissen, die beim Niederlegen zum Anlehnen dienen. Am Kopfende eines jeden fanden sich Gold- und Silbergefäße, Spucknäpfe, Trinkbecher oder Beteldosen.

Als der Gouverneur oder Chao-Myang, den meine Birmanen den Mingyi (Großfürsten) nannten, eintrat, reichte er mir seine Hand zum englischen Gruß, der indess bei seinen zolllangen Fingernägeln etwas schwierig auszuführen war. Die vornehmen Siamesen adoptieren gern diese chinesische Sitte, um dadurch zu zeigen, dass sie einer Bürgerklasse angehören, die von Händearbeit befreit ist. Die ganze Versammlung lag beim Eintritt des Fürsten natürlich auf Ellbogen und Knieen, doch wurde dem Richter und höheren Beamten die Gnade eines herablassenden Winkes, der ihnen erlaubte, sich nach den Teppichen hinzuwälzen, um auf dieser weicheren Unterlage Platz zu nehmen. Das übrige Gefolge musste es sich auf dem Fußboden bequem machen. Der Mingyi trug unter seinem Putzo oder Lendentuche ein silberdurchsticktes Untergewand, einen kostbaren Überwurf in der Form eines Schlafrockes am Oberkörper und chinesische Pantoffeln. Er ließ sich auf den einen Armstuhl nieder, mit Schwertträgern, Schreibern, Zigarren- und Betelknaben zu seinen Füßen, und begann dann ein längeres Gespräch über die verschiedenen Nationen, die die Erde bewohnen, mich über meine Reisebeobachtungen in anderen Ländern, meinen Aufenthalt in der Hauptstadt Birmas und Ähnliches mehr befragend. Er spielte mehrfach auf die Beziehungen zwischen Franzosen und Engländern an, sprach von den Kriegen des großen Napoleon und kannte ebenso den jetzigen Kaiser. Auch die Kunde des furchtbaren Bürgerkrieges in den Vereinigten Staaten war schon bis dahin gedrungen. Dann wandte sich die Unterhaltung auf meine Reisezwecke, und gab besonders der Unterschied zwischen den Lehrern der Weisheit oder der Philosophie und den aus den Missionaren gekannten Lehrern der Religion Gelegenheit zu weiterer Diskussion. Nachdem etwa eine Stunde so verbracht war, bat mich der Gouverneur, sein Gast zu sein, und ließ die auf den Tisch gestellten Schüsseln aufdecken. Die kleineren derselben enthielten alle Arten Ragouts und Frikassees, gebratene oder gekochte Enten und Hühner, Schweinefleisch, Fische und Saucen. Ein gigantisches Gefäß mit Reis wurde hereingebracht und neben uns auf die Erde gestellt. Ein dahinter kniender Diener füllte die Essschalen mit Reis, der dann mit den auf dem Tische gebotenen Zutaten gegessen wurde; für mich hatte man Messer und Gabel hingelegt, die gewechselt wurden, als der zweite Gang der Süßigkeiten erschien: Kuchen, Konfitüren, verzuckerte Bananen, ein Kokosnuß-Pudding u. dgl. m. Wasser wurde in Gläsern gereicht, und zum Abspülen der Hände stand ein Wasserbecken bereit. Nachdem abgetafelt war, kehrte ich zu meinem früheren Sitz zurück, und ging das Gespräch noch einige Zeit fort, während schmale Tassen mit Tee herumgereicht und Zigarren geraucht wurden. Beim Fortgehen hatten wir Mühe, uns durch die Zuschauermenge durchzudrängen, die sich inzwischen vor dem Hoftor angesammelt hatte, und kamen wir erst spät, unter Vorantragen von Fackeln, nach unserm Logis zurück.

Am nächsten Tage stattete ich dem Abte des nahe gelegenen Klosters (Kyaung im Birmanischen oder Vat im Siamesischen) meinen Besuch ab, des Klosters der Kokosnuß-Palmen, das in einem weiten, dicht beschatteten Garten lag. Die Mönche bewohnten enge Zellen in einem niedrigen Steinhause. Die übrigen Gebäude dagegen, die Tempel, die Götzenhallen, die Betplätze waren meistens aus Holz und an den Wänden vielfach mit bunten Darstellungen aus dem Jataka bemalt. Die Insassen waren meistens Laos aus Xiang-Mai (Zimmay), und ihre Bücher auch noch mit dem dort, sowie in Labong und Lagong gebräuchlichen Alphabet geschrieben. Die Buchstaben gleichen in ihrer runden Gestalt den birmanischen; doch sind einige Formen abweichend und die ganze Schreibart wegen der vielfachen Schnörkeleien schwieriger zu lesen. Die Knaben in der Klosterschule lernten indess dieses und nicht das eckige Alphabet der Siamesen. Doch sah ich außer den Palmschriften schon einige der Zickzackbücher aus dickem groben Papier, wie sie in Siam gebräuchlich sind.

Fortsetzung / Teil 3




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