Reisen in Siam im Jahre 1863 - Adolf BastianWährend in den birmanischen Klöstern meistens eine große Pagode den Mittelpunkt bildet, enthalten die siamesischen gewöhnlich verschiedene kleinere, denen in den meisten Fällen der Tih oder Schirm fehlt; dieser mangelte auch die Achtzahl der niedrigen Pyramiden, die den aus Stein gebauten Tsein umgaben, der sich in einem Teil des Klosterhofes neben dem Zayat befand. Zwischen denselben waren die acht Steinpfeiler Sema gestellt, oben in der Gestalt einer Bischofsmütze gebogen, die den heiligen Raum der Klosterfreiheit einschließen und innerhalb welcher die Priesterweihe vollzogen wird. Die Priester haben allerlei mystische Erklärungen ihrer Bedeutung, wie sie den in magischer Beziehung zu den Körperorganen stehenden Charakteren eines in Gautama's Zeit verloren gegangenen Buches entsprächen, mächtige Talismane unter ihnen begraben seien und Ähnliches. Die siamesischen Tempelhallen pflegen mit Buddhabildern aller Größen und Formen gefüllt zu sein, aber auf dem Hauptsitz bemerkt man häufig zwei Figuren, eine etwas kleinere, vor einer riesenhaft großen dahinter. Die Mönche unterscheiden meistens die erstere als Khodom (Gautama) von der andern, Xina genannt, oder nennen sie auch die Brüder. Der bei den Jainas gebräuchliche Name Xina (Jina) oder Sieger wird von den Birmanen demjenigen gegeben, der fünf Tyrannen überwunden hat (Mara-na-pa-ko-ausi-so-su), nämlich Khanda-Mara (die Körperlichkeit), Abhisingkhara-mara (die Abhängigkeit von den vier Ursachen), Kilesa-mara (die Leidenschaften), Mazzu-mara (Tod) und deva-putta-mara (die teuflichen Widersacher), also einem Buddha. In einem der Nebengänge des Klosters in Rahein, sowie später in anderen siamesischen, fand ich einen ganzen Stapel zum Teil schon halbverfaulter Holzblöcke aufgeschichtet und sah bei genauerer Untersuchung, dass sie alle unverkennbar in der Form einer Linga geschnitzt waren. Solche Symbole, wie ich beiläufig erfuhr, werden in den Klöstern, besonders aber in dem Dämonen-Tempel, für geschlechtliche Fruchtbarkeit dargebracht. Der Gouverneur hatte sich bei meinem Besuche noch nicht mit Bestimmtheit über die nötige Erlaubnis zu meiner Reise ausgesprochen und ersuchte mich, auf meine weitere Anfrage, bis zu seiner Rückkehr zu warten, da er eine Pilgerfahrt nach einer nahegelegenen Pagode zu unternehmen habe. Diese Botschaft war von Geschenken an feinem chinesischen Tee, getrockneten Früchten und Zuckersachen begleitet, versüßte mir aber dadurch die Verzögerung nicht, weil manche Ursachen vorlagen, die möglichst baldigen Aufbruch wünschen ließen. Für mein immer noch nicht gehobenes Fieber konnte ich nur von einer regelmäßigen Kur in Bangkok Genesung hoffen, und außerdem schienen meine Leute aus Langeweile Einer nach dem Andern krank zu werden, oder bildeten es sich wenigstens ein, da ich nicht Beschäftigung genug für sie hatte, um ihnen solch' müßige Gedanken auszutreiben. Mein ganzes Haus war ein Lazarett und wurde es noch mehr durch die Kranken, die man von allen Seiten herbeibrachte, oft in einem solchen Zustande, dass sie kaum wieder fortgeschafft werden konnten. Die Stadt war des Lobes voll über die Wunderkuren, die durch die fremdländischen Medizinen an allen Ecken und Enden gewirkt wurden; doch führte ich meine Statistiken etwas genauer, als unsere Universalisten, um nicht zu wissen, dass aus Zehn Einer, der sich momentan besser fühlt, aus Dankbarkeit gern in die Ruhmesposaune bläst, während die anderen Neun stillschweigen und auf eine Nachkur hoffen. Die Stadt Rahein zieht sich ganz längs des Flusses hin und besteht fast nur aus einer einzigen langen Strasse, von der schmale Gassen zu den verschiedenen Anlegeplätzen hinablaufen. Die Häuser der Vornehmen waren von Gärten umgeben und in Hecken aus Bambu eingefasst. Keinen geringeren Anteil der Bevölkerung bilden die Chinesen, die besonders dasjenige Stadtviertel bewohnen, in dem die Märkte abgehalten werden. Ihre große Zahl bringt mehr Rührigkeit in das dortige Leben, als man es gewöhnlich unter der apathischen Bevölkerung Siams fand, und hatte auch den Vorteil, dass man sich in ihren besser versehenen Läden manche Luxusartikel verschaffen konnte, an die der einheimische Kaufmann nicht gedacht haben würde. Auch mein Koch hatte weniger Schwierigkeiten für seine Anschaffungen. Jeden Morgen zog ein chinesischer Schlächter durch unsere Strasse, seine Gegenwart durch das Blasen eines Hornes kundgebend, und man konnte sich durch ihn das frischgeschlachtete Schweinefleisch in's Haus schaffen lassen. So bequem war es uns in Birma nicht geworden. Auf weniger lobenswerte Weise machten sich die Chinesen durch die Opiumhäuser bemerkbar, sowie durch Hazardspiele, für die überall Einrichtungen getroffen waren. Eine sehr gebräuchliche Geldsorte in Rahein waren runde Porzellanstücke mit chinesischen Charakteren, ungefähr unseren Whistmarken entsprechend, die natürlich gar keinen intrinseken Wert hatten, aber da sie unter den Spielern jeden Augenblick wieder angebracht werden konnten, allgemeinen Kurs besaßen und fast von Jedem ohne viele Schwierigkeiten genommen wurden. Das eigentliche Geld Siams, die kugeligen Tickal mit dem Gepräge des Königs, sah man sehr wenig. Mit Pagoden war die Stadt reichlich versehen. Die Festtage schienen streng gefeiert zu werden, und konnte man an denselben den Chorgesang der Mönche weithin durch die Abendstille vernehmen. Bei dem aus der Unschlüssigkeit des Gouverneurs drohenden Aufenthalte hatte ich mich bemüht, auf eigene Hand Boote zu mieten, stieß aber auf unerwartete Hindernisse, da die Eigentümer fürchteten, von der Regierung belangt zu werden, wenn sie meinem Verlangen nachkämen. Der Richter, der von den getanen Schritten hörte, vertröstete mich auf die Rückkehr des Gouverneurs, der dann sogleich Befehl geben würde, dass man Regierungsfahrzeuge zu meiner Reise ausrüste, denn auf andere Weise gezieme es sich nicht, dass ein so werter Xenos die Reise nach der Hauptstadt mache. Auch hörte ich einige Tage darauf zu meiner Freude, dass die Kähne bald zu meiner Disposition bereit liegen würden. Jetzt blieb noch die Frage, was mit meinem gebrechlichen Personal anzufangen war. Diejenigen, die sich, schon in Molmein mit chronischen Übeln behaftet, hatten engagieren lassen, und in einem Zustande, der, wie sie selbst vorher wussten, zu jeder anstrengenden Arbeit unfähig machen musste, erhielten den Bescheid, dass ich ihnen zwar einen Platz in meinen Booten erlauben würde, dass sie aber selbstverstandener Weise nicht verlangen könnten, dass ich ihnen noch weiterhin einen monatlichen Gehalt zahlen solle für die Mühe, sie mitzuschleppen und von alten, schamvollen Krankheiten zu kurieren. Sie hatten schon seit länger große Zerknirschung und Reue gezeigt, waren auch für dieses Anerbieten sehr dankbar, aber der unruhige Moung-Lin, der sich seit seiner Rebellion auf der Reise nach Maetata immer etwas aufsätzig gezeigt und seinen früher verlangten Abschied erhalten hatte, setzte ihnen in den Kopf, dass sie leichter von Rahein als von Bangkok aus nach Birma heimkehren könnten und mit ihm in der ersteren Stadt zurückbleiben sollten, da in kurzer Zeit eine Karawane nach der Grenze aufbrechen würde. Als mir dieser Entschluss mitgeteilt wurde, konnte ich nichts dagegen haben, unnütze Mitesser loszuwerden, zahlte den Rest des einmal bedungenen Lohnes für die schon verflossene Dienstzeit und ließ so viele Medizinen, als sich aus meinem Vorrat sparen ließen, mit den nötigen Anweisungen für die Patienten zurück. Der Richter versprach mir auf meine Bitte, zu sorgen, dass sie bei passender Gelegenheit ungehindert abziehen könnten und mit den nötigen Pässen versehen werden würden. Nach einem Abschiedsbesuch bei dem Gouverneur schiffte ich mich am Nachmittag des 10. Dezembers auf einem geräumigen, wohlbedeckten Boote ein, das außer dem Steuermann durch fünf Ruderer bemannt war. Meine Begleitung bestand jetzt nur aus dem alten Dolmetscher, dem Kreolen und dem Koch nebst seinem Gehilfen. Ich benutzte die Flussfahrt, um mich mit den Buchstaben des siamesischen Alphabetes vertraut zu machen, erlernte aber das geläufige Sprechen erst später in Bangkok, nachdem ich mich von meinen bisherigen Dienern getrennt hatte, denn so lange ich mit solchen Birmanisch sprach, traten die Laute dieser verwandten Sprache hindernd der Erlernung einer neuen entgegen. Die Ufer des breiten Flusses waren mit buschiger Vegetation bedeckt, zwischen der hie und da Bananengärten eine offene Stelle bildeten. Eine in mannigfaltigen Gipfelungen wechselnde Bergreihe, die Ausläufer des Laoslandes, zog sich am Horizonte hin und zeichnete seine Formen scharf an dem reinen Himmel ab. Wir hielten uns in der Mitte des Flusses, um vom Strom hinab getrieben zu werden, und näherten uns erst mit einbrechendem Abend dem Ufer, um in der Nähe einiger Häuser, mit Hürden für Büffelherden, anzulegen und die Nacht zu verbringen. Mit der Sonne aufbrechend, fuhren wir am nächsten Tag zwischen bewaldeten Ufern hin, auf denen sich hie und da einzeln zerstreut ein Dorf zeigte. An solchen für den Anbau gelichteten Stellen traten dann immer prächtige Exemplare eines vollwüchsigen Baumschlages auf, während in dem Urwalde die Individuen sich schwerer unterschieden und durch zu nahes Beisammenstehen gegenseitig im Gedeihen schaden. Wir fuhren an einigen langen Flössen vorbei, auf denen für die Schiffer mit ihren Familien ein halbes Dutzend Hütten aufgeschlagen waren, und hielten zum Kochen des Frühstücks in der Nähe eines Hauses, in dem Weber beschäftigt waren. Am Nachmittag gerieten wir in seichte Stellen, auf denen die Boote wiederholt festliefen. Außer den Sandbänken machten auch die aufgesteckten Fischreusen vielfaches Ausweichen nötig. Nach kurzem Aufenthalt zur Abendrast setzten wir unsere Fahrt während der Nacht fort und langten am nächsten Morgen früh in Kampengpet an, der in der siamesischen Geschichte berühmten Hauptstadt der diamantenen Mauer, von der sich noch Ruinen mit Steinschriften im nahen Dschungel finden. Bis so weit reichte die Gerichtsbarkeit des Gouverneurs von Rahein und musste deshalb das von ihm gegebene Boot dort durch ein anderes ersetzt werden. Auf meine deshalb an den Gouverneur geschickte Botschaft führte mich dessen Diener beim Landen nach einem Kloster, mit der Bitte, dort meinen Aufenthalt zu nehmen, bis die Boote zur Reise fertig sein würden. Man räumte mir dort zum Logis eine der Kirchenhallen ein, mit einer Kanzel in der Mitte, von der herab alle vierzehn Tage Kapitel aus der Vinay vorgelesen werden. Auf beiden Seiten der Kanzel liefen Pfeilerreihen hin, und die Zwischenräume derselben waren mit langen engen Papierstreifen zugehängt, die in bunten Farben Szenen aus dem Jataka zeigten. Andere waren auf helltransparentem Ölpapier gemalt. Ein breiter Vorhang, mit Episoden aus Gautama's Leben bedeckt, war der Kanzel gegenüber platziert. Von der Decke hingen wimpelartige Papierfahnen herab in verschiedenen Farben, und dazwischen waren aus Papier gearbeitete Blumen oder Büschel aufgesteckt. Diese in Birma unbekannte Papierverschwendung deutete auf den Einfluss der Chinesen, die, wie die Japaner, dieses leichte Material zu allen möglichen Dingen verwenden und besonders gern ihre für das unsichtbare Jenseits bestimmten Opfergaben daraus arbeiten, da das im Tempel verbrannte Goldpapier sich im Himmel in vollgültiges Gold verwandeln wird. Neben der dicken Trommel, die für die Zeit des Gottesdienstes in eine Ecke weggesetzt war, ließ ich mir auf einer Ballustrade mein Bett aufmachen, und hatte so ein frisches und luftiges Quartier, da die durchbrochenen Gitterfenster auf allen Seiten eine frische Ventilation unterhielten. Es währte nicht lange, bis sich mein Zimmer mit neugierigen Mönchen und Novizen füllte, die den ihnen aufoktroirten Gast zu besuchen kamen und mir Mancherlei erzählen konnten. Ihr Bischof, den ich im Hof den Bau eines Bootes überwachen sah, hat die geistliche Gerichtsbarkeit über acht Klöster. Im Götzentempel fand ich eine gigantische Figur Buddha's neben mehreren kleinen, von denen einige durch fromme Verehrer mit Stoffen bekleidet waren. Die Pagoden des Klosterhofes waren klein und niedrig, aber in barocker Weise der opera vermiculata oder sectilia mit Glas und anderem Tand verziert. Die Stadt fand ich bei meinem Spaziergang durch dieselbe ziemlich wüst und tot. Nur ein Teil derselben war regelmäßig in Straßen ausgelegt, der andere schien halb im Dschungel zu stehen. Chinesen sah man keine, und die Annahme des bisher gebrauchten Porzellangeldes wurde hier verweigert. Unter den Laos ist Porzellan und selbst das gewöhnliche Töpfergeschirr selten, da sie die meisten Gerätschaften, auch zum Essen, aus Rattan flechten. Die englischen Rupien, die ich soweit noch hatte ausgeben können, mussten hier gegen das siamesische Geld gewechselt werden, in Stücken von 4 Annas oder 2 Annas im Wert. Eine kleinere Münze als 2 Annas gab es nicht, und wer etwas unter diesem Preis zu kaufen wünschte, hatte zu warten, bis das Hinzutreten eines neuen Bedürfnisses die Ausgabe eines solchen Betrages rechtfertigte, oder musste sich mit anderen Kauflustigen zusammentun und sich mit ihnen halbpart berechnen. Mitunter konnte man sich durch Tassen mit Reis helfen, und in Socotra sollen kleine Stücke Ghi oder Butter zum Wechseln dienen. Als ich bei dem Fluss vorbeikam, sah ich ein Elefantenweibchen, das mit seinem Jungen zum Baden geführt wurde, dasselbe durch Bespritzen mit dem Rüssel abwusch und es an einer tiefen Stelle über dem Wasser erhielt, da es das Schwimmen noch nicht zu verstehen schien. Außer Elefanten waren auch Ochsenkarren für den Landtransport gebräuchlich. Am Abend hatte ich einen unangenehmen Auftritt mit dem Matrosen, der sich in der letzten Zeit allerlei ungebührliche Freiheiten herauszunehmen anfing und den es Zeit war, zur Raison zu bringen. Im Beginn der Reise versah er seine Dienste und Aufträge mit großer Pünktlichkeit, und da er mir durch seine Handfertigkeit und mechanisches Geschick von vielem Nutzen war, so hatte ich ihm, besonders während der Dauer meiner Krankheit, Manches nachgesehen. Allmählich aber wurde er in seinen Forderungen immer dreister. Auf Reisen, wo nicht die augenblickliche Umgebung, sondern nur das zu erreichende Ziel von Interesse ist, muss dem Zweck des Vorwärtskommens jeder andere untergeordnet werden. Ich war deshalb in Einteilung von Tagen und Nächten sehr unregelmäßig und ließ vielfach, um eine gute Fahrt nicht zu unterbrechen, die Frühstücksstunde sich bis zum Nachmittag hinziehen oder auch ganz ausfallen. Das aber gefiel meinem Herrn Blaujacke nicht. Er wollte seine richtigen Rationen haben, wo möglich wahrscheinlich auch Erbsen und Speck, um das Dolce farniente auf dem Boote in unterhaltender Abwechslung zwischen Essen und Schlafen zu verteilen, und ließ sich mit der kalten Küche, die ich ihm zur unbeschränkten Disposition gestellt hatte, nur auf kurze Zeit abspeisen. Als er jetzt mit neuen Ansprüchen hervortrat, wurde ihm einfach und bündig erklärt, dass er im Voraus gewusst habe, zu welcher Art der Reise er sich engagiere, und dass er, da seinetwegen eine Änderung in den Plänen nicht eintreten könne, bei weiterer Belästigung, wo es immer sei, zurückgelassen werden würde, um seinen eigenen Weg zu finden. Ich hielt das Ganze damals nur für einen jener Ausbrüche der Morosität, denen die meisten der braven Seeleute unterworfen sind, die, wie Kapitäne genugsam wissen, gewöhnlich dann am Meisten murren und stöhnen, wenn es ihnen am Besten geht. Erst später, aus anderen Entdeckungen wurde mir klar, dass ich während der ganzen Reise einen Galgenvogel um mich gehabt hatte, der anfangs mein Vertrauen nur deshalb zu gewinnen gesucht hatte, um später desto sicherer seine Gelegenheit zu erspähen, und der deshalb desto eifriger nach Zwist und Streit aussah, je mehr die Reise ihrem Ende entgegenging.
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