historische reiseberichte


Simon de la Loubère 1688. Beschreibung des Königreichs Siam

Selektive Auszüge 5

Von der Erziehung der Kinder der Siamesen, und zuerst von ihrer Politesse.

Die Kinder der Siamesen sind willfährig und sanft, wenn man ihnen nur nicht verächtlich begegnet. Gegen ihre Eltern haben sie viel Liebe und Respekt, und diese wissen ihnen eine grosse Artigkeit einzuflössen. Ihre Lehren sind durch die despotische Gewalt sehr unterstützt, welche, wie ich schon gesagt habe, in ihren Familien herrscht; aber die Eltern müssen auch dem König von den Fehlern ihrer Kinder Rechenschaft geben. Sie nehmen Teil an ihren Strafen, und sie sind verpflichtet sie auszuliefern, wenn sie etwas verbrochen haben. Und wenn auch gleich die Kinder sich sollten geflüchtet haben, so unterlassen sie doch nicht, wieder zurück zu kommen, und sich selbst auszuliefern, wenn der König sich an den Vater, die Mutter oder auch an andere Seitenverwandte hält, die älter als sie sind, und gegen welche sie Respekt haben müssen. Und dies ist eine grosse Probe von der kindlichen Liebe der Siamesen gegen ihre Eltern.
Was die Politesse anbetrifft, so ist sie im ganzen Morgenland so gross, selbst in Ansehung der Fremden, dass ein Europäer, der sich lange Zeit daselbst aufgehalten hat, sich mit genauer Not wieder an die Vertraulichkeit und die wenigen Umstände der europäischen Länder gewöhnen kann. Da die indianischen Prinzen der Handlung sehr ergeben sind, so suchen sie die Fremden an sich zu ziehen, und geben ihnen Schutz, selbst gegen ihre eigenen Untertanen. Und daher kommt es, dass sie den Umgang mit den Fremden vermeiden. Sie wissen, dass man glaubt, dass sie immer unrecht haben, und dass sie in den Streithändeln, welche sie mit den Fremden haben, immer gestraft werden. Die Siamesen erziehen daher ihre Kinder in der äussersten Bescheidenheit.
Keine grössere Stille herrscht in einem Karthäuserkloster, als in dem Palaste des Königs von Siam. Die Vornehmen beobachten es eben so strenge, als die anderen Personen. Die Siamesen geben sich Mühe, nichts zu sagen, was missfallen könnte. Sie müssen recht überzeugt sein, dass man die Wahrheit von einer Sache wissen will, um es zu wagen, der vorgebrachten Meinung zu widersprechen. Sie wollen in keinem Stück besser unterrichtet sein, auch selbst nicht in solchen Sachen, welche ihr Land anbetreffen, wenn man auch gleich ein Fremder ist.
Wenn sie ernsthaft reden, so ist ihre Sprache besser, als die unsrige, im Stande, Respekt und Auszeichnungen auszudrücken. Die Worte, deren sie sich zum Grüssen bedienen sind "ca vai Thaou", ich grüsse sie, Herr. Und wenn es ein wirklicher Herr ist, der von einem Niedrigern gegrüsst wird, so wird er schlechtweg antworten: "Ravu vai", ich grüsse, oder "ca vai", welches das nemliche sagt, ob gleich das Wort "ca", welches ich bedeutet, nur natürlich von einem Sklaven gebraucht wird, wenn er mit seinem Herrn redet, und dass das Wort "Raou", welches ebenfalls ich bedeutet, eine gewisse Würde des Redenden bezeichnet. Statt zu sagen: Wie befinden sie sich? Sagen sie "Tgiou di" ?
Wenn sie in Gesellschaft sind, so stehen sie niemals; sondern, wenn sie sich nicht mit untergeschlagenen Beinen niedersetzen, so hocken sie sich einer an den anderen. Die Sklaven und die Diener knien vor ihren Herren, und die Leute aus dem gemeinen Stande vor den Vornehmen, indem sie den Körper auf die Fersen lehnen, den Kopf etwas niedergebeugt und Hände an der Stirn übereinandergelegt. Wenn ein Siamese vor einem anderen vorbeigeht, dem er Achtung erweisen will, so wird er gebückt vorübergehen, die Hände mehr oder weniger hoch übereinander halten, und ihn nicht anders grüssen.
Wenn ein Mensch von niedrigerem Stande einen Besuch macht, so geht er gebückt in das Zimmer, wirft sich auf die Erde nieder, und bleibt auf den Knien, auf die Fersen gestützt, liegen, ohne dass er zuerst zu reden wagt. Er muss warten bis derjenige, dem er den Besuch abstattet, ihn anredet. Wenn es ein Besuch bei Personen von gleichem Stande ist, oder wenn der Vornehme zu dem Geringeren kommt, so empfängt ihn der Herr des Hauses an der Türe des Zimmers, und am Ende des Besuches begleitet er ihn wieder bis dorthin. Übrigens geht er aufrecht, oder bückt sich nur nach dem Grade der Achtung, welche er demjenigen, den er besucht, schuldig ist. Er spricht auch entweder zuerst oder zuletzt, je nachdem er kann oder muss; aber er weist immer seinen Platz demjenigen an, den er empfängt, und bittet ihn, denselbigen einzunehmen. Er lässt ihm hierauf Früchte und Konfecturen aufsetzen; manchmal auch Reis und Fische, und vor allem reicht er ihm mit eigener Hand Arek, Betel und Tee. Auch das gemeine Volk vergisst den Arek nicht. Zu Ende des Besuchs sagt der Fremde, dass er sich nun empfehlen wolle, wie bei uns, und der Hauswirt macht ihm darüber ein Kompliment, und derjenige müsste sehr viel vornehmer sein, als der, welcher den Besuch macht, wenn er ihn selbst fortschaffen sollte.
Der höchste Ort ist bei ihnen der ehrenvollste, so dass sie sich nicht unterstehen anderen in das obere Stockwerk, selbst in häuslichen Verrichtungen, hinauf zu gehen, wenn die Gesandten in dem Saal auf der Erde waren.
In den Häusern, welche die Fremden von Ziegelsteinen höher als ein Stockwerk, bauen, sehen sie immer darauf, dass kein Weg unter der Treppe hinweg gehe, damit niemand unter die Füsse des anderen, der über ihn weg geht, komme; die Siamesen aber bauen nur ein Stockwerk hoch, weil ein unterer Stock ihnen unnütz wäre, da bei ihnen niemand unter den Füssen eines anderen würde weder weggehen, noch wohnen wollen.
Die rechte Hand ist in Siam ehrenvoller als die linke; der Platz des Zimmers, welcher der Türe gegen über liegt, ist auch ehrenvoller, als die Seiten des Zimmers, und die Seiten sind es mehr, als die Wand, in welcher sich die Türe befindet, und die Wand zur Rechten desjenigen, welcher der Türe gegenüber sitzt, ist auch vorzüglicher, als die Wand zu seiner Linken. Wenn jemand einen wichtigen Besuch erhält, so setzt er den, von dem er besucht wird, allein an die Wand gegen die Türe über, er selbst aber wendet seinen Rücken gegen die Türe, oder gegen eine der Seitenwände des Zimmers.
Ein Mandarin beträgt sich anders gegen Geringere, und anders gehen Höhere. Wenn mehrere Siamesen beisammen sind, und es kommt ein anderer dazu, so geschieht es oft, dass alle ihre Stellungen ändern. Sie wissen vor wem und auf welche Art sie sich bücken oder wieder aufrichten müssen, ob sie die Hände kreuzweise übereinander legen und ob sie dieselbigen hoch oder niedrig halten müssen; ob sie, wenn sie sitzen bleiben, den einen Fuss oder alle beide hervor ziehen, oder sie beide verborgen halten, und auf ihren Fersen sitzen bleiben sollen. Und die Fehler in dieser Art der Pflichten können von demjenigen, gegen den sie begangen worden sind, mit dem Stocke bestraft werden, oder er kann Befehl dazu geben, und das auf der Stelle.
Es ist daher in Siam gebräuchlich, dass der Höhere, wenn er den Niedrigeren schonen und ihm Achtung bezeugen will sich stellt, als wolle er vermeiden, ihm auf der öffentlichen Strasse zu begegnen, um ihm die öffentlichen Erniedrigungen zu ersparen, denen er sich nicht entziehen könnte, wenn er jenen begegnete.
So wie in ihren Augen der höchste Ort immer der ehrenvollst ist, so hat man auch gegen den Kopf, als den höchsten Teil des menschlichen Körpers, den grössten Respekt. Einen bei dem Kopf oder bei den Haaren anfassen, oder ihm mit der Hand über den Kopf zu fahren, heisst ihm den grössten Schimpf antun. Wenn sich einer einen Teil seiner Mütze anrühren lässt, so duldet er eine grosse Grobheit. Die in diesem Lande sich aufhaltenden Europäer lassen auch niemals ihren Hut an einem niedrigen Orte liegen, sondern geben ihn einem Siamesen, welcher ihn am Ende eines Stabs höher über den Kopf, und ohne ihn zu berühren, trägt; und dieser Stab hat einen Fuss, damit ihn derjenige, der ihn trägt, in der Höhe lassen kann, wenn er ihn verlassen muss.
Es ist bei ihnen nicht nur ehrenvoller, auf einem höheren Platz zu sitzen, als auf einem niederen, sondern sie halten das für eine noch grössere Ehre, zu stehen, als zu sitzen. Als der Herr von Chaumont seine erste Audienz hatte, so mussten die französischen Edelleute, welche ihn begleiteten, zuerst in den Saal hineingehen, und sich mit untergeschlagenen Füssen niedersetzen, damit sie der König nicht einen Augenblick möchte stehend sehen. Man verbot es sogar aufzustehen, um ihn zu grüssen, wenn er erscheinen würde. Es ist nicht einmal erlaubt, an irgend einem Orte des Palastes, sich ausser im Gehen, stehend erblicken zu lassen.
Eine Sache, welche man einem anderen giebt, oder empfängt, über den Kopf zu halten, ist in Siam ein grosses Zeichen der Hochachtung. Der König selbst hatte auch das Schreiben, welches ihm Herr von Chaumont übergab, bis an seine Stirne empor gehoben.
Wenn man einen Siamesen die Hand darreicht, so legt er seine beiden Hände in die ihm angebotene, und zwar unterwärts, gleichsam als wollte er sich ganz unterwerfen. Sie halten es für eine Grobheit, nicht mehr als eine einzige Hand zu geben, so wie auch, dasjenige, was sie darreichen, nicht mit beiden Händen anzufassen, oder das nicht mit beiden Händen zu halten, was man ihnen giebt.


Fortsetzung




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