Simon de la Loubère 1688. Beschreibung des Königreichs Siam
Bei der Rückkehr von meiner Reise, welche ich als ausserordentlicher Gesandter des Königs nach Siam gemacht hatte, haben Personen, welche das Recht haben, mir zu befehlen, von mir verlangt, dass ich ihnen eine genaue Rechenschaft von allen den Sachen, welche ich in diesem Lande gesehen oder vernommen habe, ablegen sollte. Und dies wird der Inhalt dieses Werkes sein. Von den Umständen der langen Schiffahrt dahin ist das Publikum schon unterrichtet; ich kann sie daher mit Stillschweigen übergehen; nur muss ich sagen, dass ich am ersten März 1687 von Brest abging, auf der Rhede von Siam am 27sten September des nemlichen Jahres ankerte, am 3ten Jänner 1688 aber von da wieder abreiste, und am folgenden 27sten Juli zu Brest wieder den Fuss an das Land setzte. Meine Absicht ist also erstlich von dem Lande Siam, seinem Umfang, Fruchtbarkeit, der Beschaffenheit seines Bodens und seinem Klima zu handeln; und zweitens werde ich die Sitten der Siamesen überhaupt, und endlich ihre besonderen Sitten nach ihren verschiedenen Ständen beschreiben. Die Regierungsform und die Religion werden in diesem zweiten Teile statt finden, und ich schmeichle mir mit der Hoffnung, dass man, je weiter man im Lesen dieses Werkes kommen wird, es desto mehr der Neugierde wert finden wird, weil sich der Geschmack und der Charakter der Siamesen, welchen ich in allen Stücken zu entdecken gesucht habe, sich darinnen immer mehr und mehr entwickelt. Um mich aber nicht mit solchen Dingen aufzuhalten, welche nicht nach dem Geschmack des ganzen Publikums sind, und die auch meine Erzählung zu sehr unterbrechen würde, so will ich am Ende mehrere Aufsätze, welche ich über dieses Land gemacht hatte, nachschicken. Wenn, ungeachtet dieser Vorsicht, gewisse Materien doch nicht nach dem Geschmack einiger Leser sein sollten, so bitte ich zu bedenken, dass allgemeine Ausdrücke niemals die gehörigen Begriffe geben. Um die Siamesen besser kennen zu lernen, habe ich auch Nachricht von anderen indianischen Reichen gegeben, z.B. auch von China; denn obgleich dieses meiner Absicht fremd scheinen könnte, so glaube ich doch, dass durch eine Vergleichung benachbarter Länder manches kann aufgeklärt werden. Ich hoffe auch, dass man mir die Siamesischen Namen, welche ich anführe und erkläre, verzeihen werde. Übrigens wissen diejenigen, welche mich kennen, dass ich ein Freund der Wahrheit bin; aber es ist das nicht genug, weil nicht jede aufrichtige Erzählung auch zugleich eine echte ist. Man muss mit der Aufrichtigkeit auch zugleich richtige Einsichten verbinden, und sich von dem, was man anderen zu erzählen versucht, auch recht unterrichtet haben. Ich habe daher aufmerksam betrachtet, gefragt, nachgeforscht, so viel mir möglich war, und, um mich dazu desto fähiger zu machen, habe ich vor meiner Ankunft in Siam sorgfältig alles gelesen, was vor mir über verschiedene Morgenländische Gegenden geschrieben worden ist, so dass diese Vorbereitung gewissermassen einen noch längeren Aufenthalt daselbst ersetzte, und dass sie mich in den zwei Monaten, in welchen ich zu Siam war, dasjenige bemerken und lernen liess, was ich vielleicht ohne Hilfe dieser Lektüre in drei Jahren nicht würde gehört und bemerkt haben.
Herr Hofrat Meiners zu Göttingen sagt in seinem Grundriss der Geschichte der Menschheit: "Loubere ist für Siam, was Chardin für Persien ist, und ich brauche also weiter nichts zu seinem Lobe hinzu zu setzen." - Von Chardins Reisen durch Persien aber sagt Meiners in eben dieser Schrift: "Immer noch die Krone aller Reisebeschreibungen." Ist also dies für Loubere nicht Empfehlung genug? Und nicht auch der beste Schutzbrief für diese Übersetzung? So genau und umständlich wird man nicht leicht die Meinungen und Sitten eines Landes - und zumal eines noch so wenig bekannten, wie Siam ist - beschrieben finden. Diese Beschreibung ist zwar schon alt; sie enthält aber für den Erd- und Menschenkenner Denkwürdigkeiten, welche man in den neuesten Reisebeschreibungen nicht findet. Korallenfelsen, Längen und Breiten der Inseln sind freilich für die Schiffahrer nützlich; aber der lesende Teil des Publikums verlangt andere Daten. Im Original enthält diese Beschreibung zwei Bände, die aber nicht mit einander im Zusammenhang stehen, indem der letztere Band gelehrte Abhandlungen über wissenschaftliche Gegenstände enthält. Sollte die Beschreibung bei dem Publikum Beifall finden, so könnten dieselbigen auch nachfolgen
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