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Simon de la Loubère 1688. Beschreibung des Königreichs Siam

III.  Drittes Kapitel:
Von der Geschichte und dem Ursprung der Siamesen.

Die Geschichte von Siam ist mit Fabeln angefüllt. Es gibt daselbst sehr wenige Bücher, weil die Siamesen keine Druckereien haben. Übrigens zweifle ich daran, dass sie, wie man sagt, ihre Geschichte geheim zu halten suchen, da ja auch die Chinesen, welchen die Siamesen in gar vielen Stücken nachzuahmen suchen, nicht so geheimnisvoll mit der Ihrigen sind. Es sei nun, wie es will, denjenigen, welchen, ungeachtet dieser vorgeblichen Eifersucht der Siamesen, es es geglückt hat, etwas von der Geschichte von Siam zu lesen, versichern, dass sie mit einigem Schein der Wahrheit nicht weit zurück geht.
          Hier ist ein kurzer chronologischer Abriß, wie ihn die Siamesen davon geben. Man muß aber vor allen bemerken, dass das gegenwärtige Jahr 1689, mit dem Dezember des Jahres 1688 anfangen, das 2233 ihrer Zeitrechnung ist, die sie, wie sie sagen, mit dem Tode des Sommona-Codom anfangen. Nach meiner Meinung aber hat diese Epoche einen ganz anderen Grund, den ich in der Folge erklären will.
          Ihr erster König hieß Pra Prat honnefouritop penaretui sonanne bopitra. Seine erste Residenz nennen sie Thai pappe Mehanacon, deren Lage man aber nicht kennt. Er fing seine Regierung nach ihrer Epoche im Jahr 1300 an. Ihm folgten 10 andere Könige in der Regierung, der letzte von ihnen, mit Namen Jpoia sanne Thora Thesena Teparat verlegte seine königliche Residenz in die Stadt Tasao Nacora Leüang, welche er hatte erbauen lassen, und deren Lage mir ebenfalls unbekannt ist. Der zwölfte König nach diesem, mit Namen Pra Poa Noeme Thele seri, zwang sein Volk im Jahr 1731 ihm nach Lacontai zu folgen, einer Stadt, welche an einem Flusse liegt, der aus den Gebirgen von Laos herabkommt, und sich ein wenig über Porseluc in den Menam ergießt. Aber dieser Prinz hielt sich nicht immer zu Lacontai auf; denn er ließ die Stadt Pipeli erbauen, an einem Fluß, dessen Mündung zwei Meilen gegen Abend von der westlichsten Mündung des Menam liegt. Ihm folgten vier Könige in der Regierung; der letzte derselben fing an die Stadt Siam im Jahr 1894 zu erbauen, und legte daselbst seinen Hof an. Dadurch scheint es, dass sie der Stadt Siam nur ein Alter von 338 Jahren geben. Der gegenwärtig regierende König ist der fünf und zwanzigste nach dem Erbauer der Stadt, der Rhamatilondi hieß, und gegenwärtig ist er 56 oder 57 Jahre alt. Sie zählen also in einem Zeitraum von 934 Jahren 52 Könige, welche aber nicht alle aus einem Blute entsprossen sind.
          Herr Gervaise in seiner natürlichen und politischen Geschichte von Siam hat die Geschichte des Vaters des gegenwärtig regierenden Königs erzählt, und von Vliet gibt sie uns noch mit mehr Umständen, in seiner historischen Nachricht vom Königreiche Siam, welche an die Reise nach Persien von Hebert angedruckt ist. Ich verweise die Leser dahin, um darinnen ein Beispiel von den Revolutionen zu sehen, welche in Siam gewöhnlich sind; denn dieser König, welcher nicht aus königlichen Geblüte abstammte, obgleich Vlieten das Gegenteil sagt, enriß seinen natürlichen Herren den Szepter und das Leben, und ließ alle Prinzen ihres Blutes umbringen, zwei ausgenommen, welche zur Zeit, da Vliet geschrieben hat, noch am Leben waren, von denen man aber keine Nachrichten einziehen konnte. Ohne Zweifel ließ dieser Usurpator auch diese, wie die übrigen, aus dem Wege räumen. Und wirklich versichert Johann Struys in dem ersten Band seiner Reisen, dass dieses das Schicksal eines dieser zwei Prinzen gewesen sei, und zwar im Jahr 1650, da er zwanzig Jahr alt war. Der Tyrann ließ ihn mit einer von seinen Schwestern auf eine offenbar falsche Anklage hinrichten. Ein Umstand ist in der Geschichte seiner Usurpation merkwürdig, dass er nämlich, da er mit den Waffen in der Hand in den Palast eindrang, den König nötigte, denselben zu verlassen, und sich in einen Tempel zu flüchten. Von da ließ er den unglücklichen König herausschleppen, ihn als einen Gefangenen in seinen Palast zurück führen, erklärte ihn der Krone für verlustig und unwürdig zu regieren, weil er den Palast verlassen hätte. Diesem Usurpator, welcher nach einer dreißigjährigen Regierung 1657 starb, folgte sein Bruder in der Regierung nach, weil sein Sohn ihm damals die Krone nicht streitig machen konnte, oder es nicht wagte. Im Gegenteil suchte er, um sein Leben in Sicherheit zu setzen, einen Zufluchtsort in einem Kloster, und verhüllte sich in das unverletzliche Kleid eines Talapoins; allein in der Folge wusste er seine Maßregeln so gut zu nehmen, dass er seinen Onkel absetzte, welcher, da er aus dem Palast auf seinem Elefanten floh, durch einen Portugiesen erschossen wurde.
          Fernand Memiz Pinto erzählt, dass der König von Siam, welcher noch im Jahr 1547 regierte, und dem er ein großes Lob beilegt, von der Königin seiner Gemahlin bei der Rückkehr von einem Feldzuge wäre vergiftet worden. Diese Prinzessin soll dadurch der Rache ihres Gemahls zuvor zu kommen gesucht haben, weil sie während seiner Abwesenheit in einen Liebeshandel verwickelt gewesen war, wodurch sie schwanger geworden. Dieser Schriftsteller setzt auch hinzu, dass sie, bald darauf den König, ihren eigenen Sohn, auf eben diese Weise getötet, und die Verwegenheit gehabt hätte, ihren Liebhaber 1548 die Krone aufzusetzen; sie wären aber beide im folgenden Jahr in einem Tempel ermordet worden; man habe hierauf einen unehelichen Prinzen, den Onkel der zwei letzten Könige, auf den Thron gesetzt. Die Kronen in Asien stehen immer nicht fest auf den Häuptern der Regenten.
          Über den Ursprung der Siamesen lässt sich schwer urteilen, wenn sie anderst nicht das einzige Volk sind, das in gerader Linie von den ersten Menschen abstammt, welche das Land Siam bewohnt haben, und woferne sich nicht in der Folge irgend eine andere Nation unter die ersten Bewohner des Landes gemischt hat.
          Die vornehmste Ursache dieses Zweifels ist, dass die Siamesen zwei Sprachen haben, die gemeine, welche fast aus lauter einsilbigen Wörtern ohne Deklination und Konjugation besteht, und eine andere, von der ich schon geredet habe, welche gewissermaßen eine tote Sprache und nur den Gelehrten bekannt ist. Man nennt sie die Balische Sprache, und sie ist mit Wortbeugungen bereichert, so wie die Europäischen Sprachen. Die religiösen und die gerichtlichen Ausdrücke, die Namen der Würden, und alle Zierlichkeiten der gemeinen Sprache sind aus der Balie Sprache entlehnt. Selbst ihre schönsten Gesänge sind in derselbigen verfasst, so dass es wenigstens scheint, dass eine fremde Kolonie sich einstens in dem Lande Siam niedergelassen, und eine zweite Sprache dahin mitgebracht habe. Allein diese Vermutung könnte man von allen Ländern in Indien machen, weil sie alle wie Siam, zwei Sprachen haben, von denen die eine nur noch schriftlich fortdauert.
          Die Siamesen versichern, dass ihre Gesetze ausländisch, und aus dem Lande Laos hergekommen sind, welche Versicherung darauf gegründet zu sein scheint, weil die Gesetze der beiden Länder einander ähnlich sind, so wie auch zwischen den Religionen beider Reiche, und auch der von Pegu, eine Ähnlichkeit herrscht. Doch dieses beweist noch nicht, dass eines von diesen drei Reichen den zwei anderen seine Gesetze und seine Religion gegeben habe; denn es ist ja möglich, dass alle drei ihre Religion und ihre Gesetze aus einer gemeinschaftlichen Quelle geschöpft haben. Es sei nun, wie ihm wolle; gleich wie man in Siam sagt, dass seine Gesetze und selbst seine Könige aus Laos gekommen wären, so sagt man in Laos, dass die Könige und die meisten Gesetze aus Siam kämen.
          Die Siamesen wissen kein Land zu nennen, wo die Sprache Balie, welches ihre Religions- und Gesetz-Sprache ist, noch jetzt in Gebrauch sei. Sie vermuten zwar, nach der Erzählung einiger von ihnen, welche auf der Küste von Koromandel gewesen sind, dass die balische Sprache einige Ähnlichkeit mit einigen Dialekten dieses Landes habe: aber sie behaupten doch zugleich einstimmig, dass die Buchstaben der balischen Sprache nirgends, als bei ihnen, bekannt wären. Die zu Siam befindlichen Missionare glauben, dass diese Sprache nicht eine ganz tote Sprache sei, weil sie in ihrem Spital einen Menschen aus der Gegend des Vorgebirges Comorin hatten, welcher mehrere balische Worte in seine Sprache mischte, und versicherte, dass sie in seinem Lande gebräuchlich wären, ob er gleich niemals studiert hatte, und nur seine Muttersprache verstand. Sie wollen übrigens auch behaupten, dass die Religion der Siamesen aus diesen Gegenden herkäme, weil sie in einem balischen Buch gelesen hätten, dass der Sommona-Codom, den die Siamesen anbeten, der Sohn eines Königs auf der Insel Ceylon gewesen sei.
          Dergleichen ungewisse Dinge aber bei Seite gesetzt, so scheint die gemeine Sprache der Siamesen in ihrer Einfachheit den Sprachen von China, Tonquin, Cochinchina und anderer morgenländischen Staaten zu gleichen; Beweis genug, dass die Völker, welche sie reden, den Charakter ihrer Nachbarn haben. Man setze noch hinzu ihre indianische Bildung, ihre mit rot und braun vermischte Gesichtsfarbe; (welche man weder im Norden von Asien, noch in Europa, noch in Afrika antrifft) außerdem auch ihre kurzen und runden Nasen, ihre hohen Wangenknochen, ihre Ohren, die größer sind, als die unsrigen, mit einem Worte, alle Züge der indianischen und chinesischen Gesichtsbildung, ihre hockende Stellung, wie die der Affen, und viele andere Manieren, welche sie mit diesen Tieren gemein haben, so wie auch eine ausserordentliche Zuneigung gegen die kleinen Kinder; denn nichts gleicht der Zärtlichkeit, welche die alten Affen für alle ihre Jungen haben. Eine eben so große Liebe haben auch die Siamesen zu allen kleinen Kindern, es mögen nun die ihrigen, oder fremde sein.
          Selbst der König von Siam ist immer mit ihnen umgeben, und mit Vergnügen erzieht er sie bis in das siebente oder achte Lebensjahr. So wie sie aber nachher ihre kindische Art verlieren, so verlieren sie auch seine Gunst. Ein einziges, sagt man, hat unterdessen doch bis in das zwanzigste Jahr dieselbige zu erhalten gewusst, und ist noch gegenwärtig sein Liebling. Einige nennen ihn seinen adoptierten Sohn, andere vermuten, dass er ein unehelicher Sohn von ihm ist; wenigstens ist er der Milchbruder von der legitimen Prinzessin.
          Wenn man das so niedrige Land von Siam betrachtet, das durch ein Wunder dem Meere entstiegen zu sein scheint, und das alle Jahre mehrere Monate von dem Regen unter Wasser gesetzt wird, auch die fast unzählige Menge von beschwerlichen Insekten, welche es hervor bringt, und die außerordentliche Hitze des Klima, unter welchem es liegt, so ist es schwer zu begreifen, wie sich Menschen haben entschließen können, dasselbige zu bewohnen, wenn sie nicht aus der nächsten Nachbarschaft gekommen sind. Man glaubt daher auch sogar, dass es erst seit wenigen Jahrhunderten bewohnt worden sei, wenn man auf das wenige darin angelegte Ackerland Rücksicht nimmt. Übrigens müsste man weit in den Norden von Siam hinauf gehen, um kriegerische Völker zu finden, welche die unzählbaren Menschenschwärme hergeben konnten, welche zu verschiedenen Zeiten aus ihrem Vaterlande ausgegangen sind, um sich in andern Ländern niederzulassen. Und wie wäre es möglich, dass sie sich auf dem Wege bei einem der weichlichsten und feigsten Völker, die zwischen dem Lande der Scythen und den fast undurchdringlichen Wäldern und Flüssen der Siamesen sollten aufgehalten haben? Es scheint also wahrscheinlich, dass die sogenannten kleinen Siamesen, von welchen wir reden, ein Stamm von den großen sind, welche sich in die jetzt von ihnen bewohnten Gebirge geworfen haben, um sich der Tyrannei der benachbarten Könige zu entziehen.
          So viel ist allezeit gewiss, dass das Blut der Siamesen sehr mit fremden Blute vermischt ist. Ohne der Peguaner und der Bewohner von Laos zu gedenken, welche mit den Siamesen von einer Nation zu sein scheinen, so kann man nicht zweifeln, dass sich ehemals eine große Menge von Fremden nach Siam geflüchtet habe, und zwar wegen der freien Handlung, und wegen der Kriege im eigentlichen Indien, in China, in Japan, in Tonquin, Cochinchina und in anderen Staaten des mittäglichen Asiens. Man sagt auch, das man in der Stadt Siam gegen vierzig verschiedene Nationen zähle, da aber der Vincent le Blanc eben dieses von der Stadt Martaban sagt, so scheint mir diese übertriebene Anzahl der Nationen eine indianische Prahlerei zu sein. Der gänzliche Verfall der Handlung von Siam verursachte, dass sich in den letzten Jahren wieder viele von da weg zogen, die sich dahin geflüchtet hatten. Drei oder vier Bengalen machen gegenwärtig eine Nation aus; drei cochinchinesische Familien machen eine andere aus. Die Mauren allein, welche nur für eine gezählt werden sollten, machen mehr als zehn aus, sowohl weil sie aus verschiedenen Ländern nach Siam gekommen sind, als auch unter dem Vorwand ihrer verschiedenen Stände, als Kaufleute, Soldaten oder Handwerker. Ich nenne diese Leute Mauren, wie die Spanier, und nicht Neger; denn diese Mohammedaner rühmen sich eines arabischen Ursprungs, und ihre Nation hat sich über unsere ganze Hemisphäre ausgebreitet.
          Diese Nationen bewohnen verschiedene Teile der Stadt oder der Vorstädte von Siam. Es ist aber nichts desto weniger diese Stadt, wenn man auf ihre Größe Rücksicht nimmt, schlecht bewohnt, und das Land ist es noch weniger. Man muss glauben, dass sie keine größere Bevölkerung haben wollen; denn sie stellen alle Jahre Volkszählungen an, und sie wissen doch, wie jedermann, gar wohl, dass das einzige Geheimnis, diese Volkszahl zu vermehren, dieses wäre, die Auflagen und die Frondienste zu erleichtern. Bei der letzten Volkszählung, wozu auch Frauen und Kinder genommen worden, zählten sie, bei dem so großen Umfang des Landes, nach ihrem eigenen Geständnis, nicht mehr, als 1,900.000 Seelen; ob ich gleich glaube, dass man auch noch davon etwas abziehen muss, da Prahlerei und Lügen zu dem Nationalcharakter der Morgenländer gehören. Hingegen dürfte man auch die Flüchtlinge hinzusetzen, welche in den Wäldern eine Freistätte vor ihren Herren suchen.


Fortsetzung




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