Gesellschaft, Politik und Bewusstsein16,3 Prozent der Österreicher haben Migrationshintergrund (Nov. 2007)
Österreich ist heuer um 29.000 Einwohner gewachsen - In nur geringerem Ausmaße trug die positive Geburtenbilanz zum Wachstum bei. Der Innenminister spricht vom Grenzen-Dichtmachen, doch Österreich ist längst Einwanderungsland. 16 Prozent der Bürger haben Migrationshintergrund.
Jeder 3. Wiener ein Migrant Am meisten Neu-Bürger leben in Wien. Beinahe jeder Dritte in der Bundeshauptstadt stammt aus einem Zuwanderermilieu. Zehn Wiener Bezirke führen auch die einschlägige "Hitliste" an. Multikulti-Hochburg ist Rudolfsheim-Fünfhaus (46 Prozent mit Migrationshintergrund), auf den Plätzen folgen die Leopoldstadt, Margareten und die Brigittenau (alle über 40 Prozent). Auf den untersten Rängen die Waldviertelgemeinden Zwettl (2,5 Prozent) und Waidhofen an der Thaya (3,4 Prozent) sowie - auf Länderebene - das Burgenland mit 8,3 Prozent. Immigranten lassen sich vor allem dort nieder, wo Landsleute davor bereits Netzwerke aufgebaut haben. Und wo Unternehmen neue Arbeitskräfte suchen - was am Land seltener der Fall ist. Die größten Gruppen stellen, abgesehen von Zuwanderern aus Deutschland, Bürger aus den klassischen Gastarbeiterländern. Mehr als 440.000 Menschen haben ihre Wurzeln in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens, 155.000 in der Türkei. Doch die Statistik belegt auch: Die Zuwanderung aus diesen Regionen - da zeigen die strengen Fremdengesetze wohl Wirkung - stagniert. Eine Nebenrolle spielen Afrikaner, die zwar oft durch die Schlagzeilen geistern, aber kaum mehr als 20.000 Köpfe zählen. Stattdessen werden, hält der Trend an, Einwanderer aus EU-Staaten dafür sorgen, dass Österreich im Jahr 2050 voraussichtlich 9,5 statt bisher 8,3 Millionen Einwohner beherbergen wird. Die Zahl der Zuzügler aus der Europäischen Union stieg allein in den ersten neun Monaten 2007 um 7,5 Prozent, größte Gruppe sind deutsche Staatsbürger, von denen derzeit 121.000 im Land leben. Verhältnismäßig am größten ist der Zustrom - plus 21 Prozent - aber aus den neuen Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien. Der Demograf Lebhart rechnet damit, dass der Boom noch zwei bis drei Jahre anhalten könnte. Wogegen, weil EU, auch die strengsten Fremdengesetze nichts ausrichten könnten.
Abschotten als Illusion Die Herausforderungen seien auch so groß genug, meint Lebhart: "Die Lebensräume ändern sich schneller als die Institutionen." Der Wissenschaftler hat versucht, aus seinen Daten gewisse Hot-Spots herauszufiltern, wo der Integrationsbedarf besonders hoch sei, weil sich Migrantengruppen und alteingesessene Bevölkerung dort tendenziell voneinander abschotten. Zu den Gebieten mit starken "Segregationstendenzen" zählen demnach die Wiener Bezirke Rudolfsheim-Fünfhaus, Favoriten und Ottakring, aber auch Bundesländerstädte wie Salzburg, Graz oder Dornbirn. Den Vorwurf, zu überspitzen, setzt sich die Statistik Austria nicht aus: Die neuen Zahlen sind eher konservativ gerechnet. Zuwanderer der zweiten Generation etwa, die in Österreich geboren sind und die Staatsbürgerschaft besitzen, fallen bereits nicht mehr unter die Kategorie "Migrationshintergrund". Forscher Lebhart warnt aber auch vor voreiligen Schlüssen. 16 Prozent der Bevölkerung mögen zwar über einen derartigen Background verfügen, sagt er: "Aber das heißt nicht, dass all diese Leute zusätzlicher Integration bedürfen." (DER STANDARD, 9. November 2007)
Für eine lebendige Demokratie ist das Geschichtsbewusstsein zentral. Heute vergessen wir Geschichte, das ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft, die sich durch optische Medien projiziert, was ständig neue Bilder produziert, die wir nie nachlesen können. Wir vergessen Geschichte und werden anfällig für Verführung und für politische Manipulation, wodurch sich Mächtige reproduzieren, wofür wir keine Argumente mehr haben, weil sie einfach alles schnell vergessen machen. Das ist ein Schwachpunkt für Selbstbestimmung und für Demokratie. Demokratie ist eine Frage des guten Gedächtnisses, des Nicht-Vergessens, wie alles zustande kommt, des Kennens der Langzeit-Geschichte.
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