Gesellschaft, Politik und BewusstseinWer ist hier noch sicher? Österreich reformiert sein "Fremdenwesen" (2005/2006)Ein Überblick über die Änderungen durch die Fremdenrechtsnovelle 2005, die mit 1. Jänner 2006 in Kraft tritt. Am 7. Juli wurde das "Fremdenrechtspaket 2005" mit den Stimmen von ÖVP, Freiheitlichen und SPÖ - wo Bundesgeschäftsführer Darabos die Tradition der ehemaligen Law-and-Order-Minister Löschnak und Schlögl konsequent weiterführte - im Parlament beschlossen. Leise Kritik war lediglich von Seiten der Grünen und wenigen Einzelpersonen aus der SPÖ zu vernehmen. Dabei entzogen sich letztere bekanntlich der Abstimmung, während die Grünen, und hier allen voran Van der Bellen und Peter Pilz, eine "Richtungsänderung in der Asylpolitik" ankündigten und sich damit brüsteten, das "Tabuthema Asylmissbrauch" nun auch offen zu diskutieren - und das in direkter Verbindung mit dem Thema Drogen. Die Suche nach tragbaren Positionen zur Asylpolitik im Parlament ist also vergebens. Je mehr sich die Politik der Verantwortung für Menschen unterschiedlicher Herkunft, die sich in Österreich aufhalten, entzieht, desto wichtiger ist die Initiative nichtstaatlicher Organisationen und Einzelner. Doch wie viele Menschen werden solidarisch genug sein, um solche Gesetze entschieden abzulehnen und sich, wenn's wenn es drauf ankommt, auch nicht an sie zu halten? Mit dem Fremdenrechtspaket werden besonders jene Bestimmungen verschärft, die AsylwerberInnen betreffen. In zahlreichen Stellungnahmen von Flüchtlingsorganisationen und anderen RechtsexpertInnen wurden die geplanten Änderungen zwar heftig kritisiert, von Seiten der Regierung aber kaum entschärft. Wenigen positiven Veränderungen steht eine Fülle an Neuerungen entgegen, die sowohl der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Europäischen Menschenrechtskonvention widersprechenden. Aber auch andere MigrantInnen und selbst deren in Österreich geborene Kinder sehen sich einmal mehr mit Verschärfungen konfrontiert. So können nach dem neuen Fremdengesetz wieder Menschen abgeschoben werden, die als Kinder von MigrantInnen in Österreich geboren und zu einer mindestens zweijährigen Haftstrafe verurteilt wurden. Hier tritt die Bedeutung des Geburtsortes zurück, um dem Prinzip des "ius sanguinis" Platz zu machen, nach dem die StaatbürgerInnenschaft einer Person an die ihrer Eltern gekoppelt wird. Damit folgt das Gesetz einmal mehr der altbekannten Blut-und-Boden-Logik. MigrantInnen werden verstärkt als Sicherheitsrisiko und in weiterer Folge als "zu Verwaltende" gefasst, die kontrolliert und diszipliniert werden müssen. Dies gilt in besonderer Weise für AsylwerberInnen. Ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Menschen wird verunmöglicht, wo der Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben und die Entrechtung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen voranschreiten - ein altbewährtes Mittel, um rassistische Gesellschaftsstrukturen zu stützen und zu stärken. Waren AsylwerberInnen schon bisher durch das Verbot, während des Verfahrens das Land zu verlassen, in ihrer Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt, so wird sich dies nun insofern verschlechtern, als während des bis zu zwanzig Tage dauernden Zulassungsverfahrens nach Einbringung des Asylantrags ein bestimmter Bezirk nicht verlassen werden darf. Dies führt in den meisten Fällen dazu, dass Flüchtlinge während dieser Zeit keine RechtsberaterInnen konsultieren können. Ohne diese können sie aber angesichts der immer komplizierter werdenden Abläufe ihre Rechte im Asylverfahren nur unzureichend wahrnehmen. Ebenso kann Menschen, gegen die eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot erlassen wurde, die aber noch nicht abschiebbar sind, das Verlassen eines bestimmten Gebiets, etwa eines Bezirks untersagt werden - bis zu einem Jahr lang. Welche sozialen Auswirkungen eine solche Maßnahme für eine gesellschaftlich sowieso schon reichlich marginalisierte Gruppe hat, ist wohl nicht schwer auszumalen. Die Schubhaft, die bisher auf sechs Monate innerhalb von zwei Jahren beschränkt war, wird nun auf bis zu zehn Monate ausgeweitet. Auch wenn die Unabhängigen Verwaltungssenate den Fall jeweils nach sechs Monaten prüfen müssen, bedeutet das nicht automatisch, dass sich die Zeit in Schubhaft verringert. Die Asylkoordination Österreich befürchtet, dass es durch die vermehrte Verhängung von Schubhaft zur Einrichtung von "Abschiebelagern" kommen wird. Die umstrittene Zwangsernährung von Schubhäftlingen, deren Abschiebung bereits beschlossen ist, wird im Gesetz euphemistisch als "Heilmaßnahme" bezeichnet. SPö-Chef Gusenbauer rückt die Zustimmung seiner Partei hierzu gar in die Nähe der unterlassenen Hilfeleistung gegenüber Sterbenden, wenn er sagt, man müsse ja jedem, der im Sterben liegt, helfen. Auch konkrete Mitwirkungspflichten werden den AsylwerberInnen nun auferlegt. So müssen Flüchtlinge Auskünfte über ihren Reiseweg geben, frühere Asylanträge anführen, ihre familiären Verhältnisse darlegen und Angaben über den Verbleib nicht mehr vorhandener Dokumente machen. Kommen AsylwerberInnen diesen Mitwirkungspflichten nicht nach, kann die aufschiebende Wirkung des Asylverfahrens und damit der Schutz vor Abschiebung vom Bundesasylamt aberkannt werden. AsylwerberInnen werden nun etwa dann von Abschiebung bedroht, wenn sie aus einem als sicher qualifizierten Herkunftsstaat kommen, die Bedrohungssituation "offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht", sie Verfolgungsgründe nicht vorgebracht haben - wie dies besonders bei traumatisierten Flüchtlingen und bei erlebten sexuellen übergriffen der Fall ist - oder sie die Behörde über ihre Identität, Staatsangehörigkeit oder die Echtheit der Dokumente getäuscht haben. Dass ein solches Handeln oft eine unbewusste Strategie von Verfolgung bedrohter Menschen darstellt, ihr Leben zu schützen und ihr subjektives Sicherheitsgefühl zu erhöhen, bleibt darin unbeachtet. Besonders beschnitten wird das Recht jener Menschen, die eigentlich einen erhöhten Bedarf an Unterstützung und Begleitung benötigen würden. So wird der Schutz von Traumatisierten weitgehend aufgehoben, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden oft ohne Rechtsvertretung den Maßnahmen der Behörden ausgesetzt. Der Abschiebeschutz für Traumatisierte - also der Schutz davor, in einen anderen Staat, der für das Asylverfahren als zuständig erkannt wird, abgeschoben zu werden - fällt, wenn es "medizinisch verantwortbar" ist. Und unter Bedachtnahme auf eine ausreichende psychologische und medizinische Betreuung im zuständigen Staat. Ob sich die Behörden dort an irgendwelche noch so geringen Standards halten, wird weiters nicht geprüft. Die Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen wird noch prekärer. Mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes können auch Kinder und Jugendliche in Schubhaft genommen werden. Es braucht nicht erst psychologisch untersucht werden, dass die Erfahrung der Schubhaft (re)traumatisierend wirken kann und Kindern und Jugendlichen eine solche Erfahrung erspart bleiben sollte. In § 79, Abs. . 2 Fremdenpolizeigesetz wird hierzu festgestellt, "Fremde unter sechzehn Jahren dürfen in Schubhaft angehalten werden, wenn eine dem Alter und Entwicklungsstand entsprechende Unterbringung und Pflege gewährleistet ist." Dass Schubhaft für Minderjährige gleich vier Artikeln der UNO-Kinderrechtskonvention widerspricht, die seit 1993 in Österreich Gesetz ist, stört zwar den UNHCR, aber nicht SPö, öVP und Freiheitliche. Gleichzeitig werden Altersfeststellungen nun der Fremdenpolizei übertragen. Die kann einen Amtsarzt bzw. eine Amtsärztin hinzuziehen. Woher dieseR die Kompetenz für eine solche Aufgabe haben soll, bleibt rätselhaft. Allgemein kommt dem Schutz vor Verfolgung im neuen Asylgesetz ein geringerer Stellenwert zu als Zuständigkeitsfragen der EU-Staaten und der Frage nach strafrechtlichen Tatbeständen. Inhaftierte AsylwerberInnen können nun ebenso wie Flüchtlinge, die aus der Haft einen Asylantrag stellen, in Schubhaft genommen werden. Ihre Asylanträge sind innerhalb von drei Monaten pro Instanz zu entscheiden. Die Zustellung von Bescheiden erfolgt nun weitgehend direkt durch die Fremdenpolizei. Damit können Flüchtlinge sofort bei Beendigung des Verfahrens in Schubhaft genommen werden. Wer sich auf die Seite der AsylwerberInnen stellt, steht damit oft schon jenseits des Gesetzes. Ob es der Mann ist, der eine Freundin heiratet, damit sie vor der Verfolgung in ihrem Heimatland sicher ist, die Frau, die eine Bekannte bei der Suche nach einem heiratswilligen Mann unterstützt, der ihre Lage versteht, die Familie, die einen illegalisierten Flüchtling bei sich aufnimmt oder die Fluchthelferin, die es überhaupt erst ermöglicht, dass ein Flüchtling einen Asylantrag auch tatsächlich stellen kann. Den Mann, der eine Freundin heiratet, erwartet bei Bekanntwerden der Schutzehe eine Geldstrafe. Hat jemand für das Eingehen einer solchen Ehe nachweislich Geld erhalten, kann bis zu einem Jahr Haft verhängt werden. ähnliches gilt für Adoptionen. Bis zu drei Jahre Haft können für das Anbahnen einer so genannten Scheinehe - freilich ein gegen den Zusammenhalt der Betroffenen tatsächlich kaum überprüfbarer Tatbestand - verhängt werden. Die Aufnahme und Unterstützung illegalisierter Menschen wird mit bis zu einem halben Jahr Gefängnis geahndet. In jedem Fall mit einer Haftstrafe - und die kann bis zu zehn Jahre dauern - zu rechnen hat jemand, der/die Fluchthilfe gewährt, eine Tätigkeit, die in kaum einem Diskurs noch von Menschenhandel unterschieden wird. Die Darstellung von MigrantInnen als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung hat fatale Auswirkungen auf deren Leben. Auch die asylkoordination Österreich stellt fest, dass "durch die Gesetze und deren rassistische Sprache, die Flüchtlinge und ZuwandererInnen beständig als Sicherheitsgefahr thematisieren, die Verknüpfung von 'fremd' und 'Gefahr' im Bewusstsein der Österreichischen Bevölkerung bestärkt wird"(2). Die mit 1. Jänner 2006 in Österreich in Kraft tretende Novelle rassistischer Gesetze bringt einerseits eine Festlegung der gängigen Praxis und andererseits eine massive Verschärfung nicht nur für künftige EinwanderInnen, sondern betrifft auch schon lange in Österreich lebende Menschen. Leute, die sich über die Jahre hinweg eine Besserstellung "erarbeitet" haben, werden auf einen Schlag mühsam erlangte Rechte entzogen. Eine Antragstellung auf einen Aufenthaltstitel (Aufenthalts- bzw. Niederlassungbewilligung) ist nur mehr bei legaler Einreise möglich - oder über eine Ausreise und Antragstellung aus dem Ausland. Schubhaft wird zukünftig länger dauern - statt wie bisher sechs, nun bis zu zehn Monaten - und während eines laufenden Asylverfahrens jederzeit anwendbar. Dies eröffnet den Beamten sehr viel Möglichkeiten zur Willkür. Allein der Verdacht, eine Person sei über einen sicheren Drittstaat bzw. Dublinstaat eingereist, reicht zur Verhängung von Schubhaft. Es werden in Zukunft wohl mehr Menschen in Schubhaft genommen werden, und auch die Bedingungen werden verschärft, was sich vor allem an der geplanten Anwendung von Zwangsernährung für Hungerstreikende zeigt. Insgesamt bedeutet die Gesetzesnovelle eine verstärkte Illegalisierung. So wird es bei der Ablehnung eines Asylantrages keine Möglichkeit zur Legalisierung mehr geben. Denn auch das Recht auf Familienleben von EU-StaatsbürgerInnen mit Nicht-EU-BürgerInnen wird massiv eingeschränkt. Zustimmung zum Fremdenrechtspaket 2005 bedeutet: ... dass Haftanstalten als "normaler" Aufenthaltsort von Flüchtlingen legitimiert werden. Stärker noch als bisher wird Sicherung der Ausweisung zum zentralen Thema des Asylverfahrens. Entsprechend werden die Schubhaftzahlen steigen, die zulässige Dauer wird ebenfalls erhöht. Mit Aufhebung der Sonderstimmungen für traumatisierte Flüchtlinge (§ 30 AsylG) werden auch diese in Zukunft mit den Begleitumständen der Schubhaftnahme, z.B. Trennung von Familien fertig werden müssen. Es sind keine maßnahmen vorgesehen, die eine Rücksichtnahme auf die psychische und physische Ausnahmesituation der Betroffenen darstellen würden. Monatelange Haft - denn Alternativen zur Schubhaft sind nicht angedacht - kann aufgrund der bloßen Annahme verhängt werden, jemand würde sonst "untertauchen" (§76 Abs.1 FPG). In Schubhaft genommen wird weiters regelmäßig, wer einen ersten negativen Bescheid im Zulassungsverfahren und damit - persönlich von der Fremdenpolizei zugestellt - einen Ausweisungsbescheid erhält (§10 und §27 AsylG, §76 Abs. 2 FPG). Einmal in Schubhaft wird eine Berufung gegen den negativen Zulassungsbescheid zum Asylverfahren de facto unmöglich. Auch wenn Berufung erhoben wird, bietet sie keinen effizienten Rechtsschutz, da die Ausweisung mangels aufschiebender Wirkung dennoch vollzogen wird. ... dass der absolute Vorrang formaler Zuständigkeitsfragen vor den eigentlichen FluchtGründen festgeschrieben wird. AsylwerberInnen, die über einen anderen EU-Staat eingereist sind, können nun in Schubhaft genommen und abgeschoben werden ohne je ihre Fluchtgründe dargelegt zu haben. Eine polizeiliche Befragung zur "Reiseroute" genügt. (§ 19, § 45 AsylG). Österreich verabschiedet sich auch von der Verantwortung für traumatisierte Flüchtlinge. ... dass mit der Behauptung, Österreich sei durch "die EU-Regelungen" - namentlich die Dublin-Verordnung - zur unterschiedslosen Ausweisung und Schubhaftnahme gezwungen, ein Teil der Wahrheit unter den Teppich gekehrt wird. Österreich hat nicht nur ein Selbsteintrittsrecht, d.h. die Möglichkeit, trotz der "eigentlichen" Zuständigkeit eines anderen EU Staates ein Asylverfahren selbst zu übernehmen. Sondern Österreich ist dazu nach der Judikatur des VfGh verpflichtet, wenn die Gefahr einer Kettenabschiebung nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Mehrere fälle der Rücküberstellung tschetschenischer Flüchtlinge von Österreich in die Slowakei und schließlich in die Russische Föderation im Herbst 2004 sind bereits belegt. ... dass mit dem Fremdenpolizeigesetz ein Gesetz in Kraft tritt, das die Schwelle zu polizeilicher Zwangsgewalt und zum Eingriff in Grundrechte deutlich niedriger legt, sobald ausländische Staatsangehörige involviert sind. Unter anderem ist auf bloße Vermutung hin die Suche nach nicht rechtmäßig Aufhältigen in Privatwohnungen, Beratungsstellen, Kirchen etc. möglich. (§36 Abs. 2 FPG). Wenn ÖsterreicherInnen Nicht-EU-bürgerInnen heiraten wollen, tritt die Fremdenpolizei nun bereits vor der Eheschließung auf den Plan: Standesämter müssen in diesem Fall die Fremdenpolizei vorinformieren (§38 PstG). Ebenso müssen alle anderen involvierten Gerichte und Behörden den "Verdacht einer Aufenthaltsehe" an die Fremdenpolizei berichten (§ 109 FPG). Der bisherige fremdenpolizeiliche Einflussbereich, nämlich die Erteilung oder Versagung einer Niederlassungsbewiligung aufgrund der Ehe, wird damit weit überschritten. ...und dass ein Gesetz, das in Sprache und Inhalt Flüchtlinge und ZuwanderInnen beständig als Sicherheitsgefahr thematisiert, dazu beitragen wird, die Verknüpfung von "Fremd" und "Gefahr" im Bewusstsein der Österreichischen Bevölkerung noch weiter zu bestärken. Zahlreiche Analogien zum Strafrecht machen deutlich, dass die Gleichsetzung von "Fremden" und "Gefahr in Verzug" Eingang in Gesetzgebung und Vollzug finden soll.
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